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Artikelreihe: Yoga und Gesellschaft
Teil 7: Was tun?
(veröffentlicht in DYF Heft 3/2025)
Yoga und gesellschaftspolitisches Engagement scheinen sich zu widersprechen.
Tatsächlich fand in den 1970er und 1980er Jahren in Westdeutschland, als die Protestbewegung der Studierenden und der SchülerInnen abebbte, eine folgenschwere Trennung bei den Aktiven statt. Ein Teil der politisierten Menschen suchte ihr Heil in autoritär strukturierten Kleinstparteien oder religiösen Sekten, manche folgten einem Guru nach Indien1, andere engagierten sich in neuen sozialen Bewegungen wie der Anti-Atomkraft-, der Umwelt- und der Friedensbewegung. Ein nicht unerheblicher Teil der Aktiven suchte nach nicht-autoritären, emanzipativen Formen des gesellschaftlichen Engagements. Sie hatten erkannt, dass sie auch sich selbst verändern müssen, um verändernd wirken zu können und machten Therapien, beschäftigten sich mit spirituellen Übungswegen wie dem Yoga und engagierten sich z.B. in der Frauenbewegung und in der Alternativbewegung.
Aber viele der politisch engagierten Menschen hatten für den Weg nach innen wenig Verständnis. Sie erlebten, wie sich zahlreiche ihrer früheren MitstreiterInnen durch ihre Therapien und mit ihren Yoga-Übungen ins Private zurückzogen. Meditieren belächelten sie als Bauchnabelschau, Yoga-Üben kritisierten sie als Anpassung. Überschneidungen innerhalb der verschiedenen Aufsplitterungen der Protestbewegung gab es zwar, aber ein Austausch zwischen den verschiedenen Wegen war selten.
Heute breitet sich allmählich die Erkenntnis aus, dass man sowohl gesellschaftlich aktiv sein als auch an sich selbst arbeiten muss, wenn man etwas verändern möchte.
Der Yoga hat dazu Entscheidendes beizutragen. Für viele Menschen ist Yoga heute jedoch lediglich eine modische Entspannungsübung mit gymnastischen Bewegungsteilen. Der transformative Ansatz, der in den Yoga-Sutras von Patanjali steckt, ist vielen noch immer unbekannt.Für P.Y. Deshpande, dem Kommentator der Yoga-Sutras von Patanjali, bieten die Yoga-Sutras den Schlüssel zum Verständnis der heutigen Situation2. Bereits in seiner Generation wurde um eine Klärung des Spannungsverhältnisses zwischen Yoga und gesellschaftlicher Veränderung gerungen.
Die Auseinandersetzung über ein als notwendig erkanntes gesellschaftliches Engagement einerseits und die notwendige Veränderung des Einzelnen andererseits ist also nicht neu. Auch in Europa wurde sie von der Generation unserer Großeltern unter französischen Intellektuellen geführt. Einen schriftlichen Niederschlag dieser Auseinandersetzung finden wir bei Arthur Koestler in seinen beiden Essays „Der Yogi und der Kommissar I +II“3 von 1942 und 1944 und der Antwort von Maurice Merleau-Ponty in seiner Abhandlung „Der Yogi und der Proletarier 4 von 1947. Unter dem Eindruck der großen stalinistischen Säuberungen innerhalb der Sowjetunion in den 1930er Jahren und der damit verbundenen Schauprozesse wendet sich Koestler, wie viele andere politisch Aktive, vom Kommunismus ab. Sie ringen mit ihrer Vergangenheit in der kommunistischen Partei, aus der sie ausgetreten sind, und mit ihren enttäuschten Idealen. So auch Koestler und auch Merleau-Ponty.
Koestler, (Budapest 1905-1983), wünscht sich eine Synthese zwischen dem Heiligen, dem Yogi, und dem Revolutionär, den der Politkommisar für ihn verkörpert. Der politische Kommissar als Parteifunktionär, so Koester, richtet seine affektiven Energien auf das Verhältnis zwischen dem Individuum und der Gesellschaft. Er glaubt, dass durch eine radikale Umbildung des gesellschaftlichen Systems der Gütererzeugung und der Güterverwertung alle Probleme der Menschheit gelöst werden könnten, wobei dieser Zweck alle angewandten Mittel heiligt. Der Yogi hingegen richte seine affektive Energie auf das Verhältnis zwischen Individuum und dem Universum. „Er glaubt, dass durch die äußere Organisation gar nichts, durch die Bemühungen des einzelnen von innen heraus jedoch alles verbessert werden kann.“5 Aber beide seien mit ihrem Ansatz gescheitert, resümiert Koester. Der Yogi deshalb, weil sein Versuch, „die aus der passiven Kontemplation hergeleiteten Werte auf das praktische Handeln zu übertragen (…) zu einer naiven, dilettantischen und oft verschrobenen Art, an die sozialen Probleme heranzugehen“6, führe. Dennoch sieht er in der Praxis der Kontemplation die einzige Quelle für die Wegweisung in ethischen Fragen, mit deren Hilfe man auf die „innere Stimme des Gewissens“ horchen könne. Doch dafür bräuchten wir eine Neuauslegung der östlichen Begriffe in die Ausdrücke und Symbole des westlichen Denkens, fordert er. Sein Bild von Yoga entspringt offenbar nicht einer persönlichen Begegnung mit einem Yogin, sondern einem Buch, der Hatha-Yoga-Pradipika, aus dem er den 12. Vers des 1. Kapitel wie folgt zitiert: „ ‚Wer Hathayoga ausüben will‘, so belehrt mich Swatmaram Sami, ‚sollte allein in einer kleinen Einsiedlerklause oder in einem Kloster leben, an einem Platz frei von Felsen, Wasser und Feuer, in einem Raum von der Weite einer Bogenspanne und in einem fruchtbaren Lande, über das ein tugendhafter König herrscht und wo er nicht gestört wird.‘ (…) Wenn es uns mit der Wiedererlangung unserer verlorenen Hälften ernst ist, dann müssen wir neue Wege des Lehrens und Lernens finden“7, fährt Koester fort und fordert, Kontemplation z.B. auch in den Schulen zu lehren.
Maurice Merleau-Ponty, (Rochefort/Frankreich 1908-1961) hingegen kann mit dem Begriff der Kontemplation, die er als einsames Denken versteht, nichts anfangen. Sein Weg, den Einklang mit sich selbst und mit den anderen zu suchen, besteht darin, die konkrete Situation leiblich zu erleben und bewusst wahrzunehmen, statt seinen Gedanken zu folgen und in einen Dialog mit den anderen Lebewesen zu treten. Die Erfahrung, die mit einem geschärften Bewusstsein erlebt wird, „macht uns wach für die Bedeutung des Ereignisses und der Aktion, sie lehrt uns unsere Zeit zu lieben“ 8, schreibt er. „Koester vergisst von seiner kommunistischen Vergangenheit, was bewahrt werden müsste: den Sinn für das Konkrete, und behält, was vergessen werden musste: die Trennung von Innen und Außen.“9
Nicht unerwähnt bleiben darf in diesem Zusammenhang Simone de Beauvoir (Paris 1908-1986), die 1949 ihr epochales Werk „Das andere Geschlecht“ veröffentlicht hat, das als Meilenstein der feministischen Literatur gilt. Mit Merleau-Ponty befreundet und mit Koestler bekannt hat sie zusammen mit Jean-Paul Sartre (Paris 1905-1980) bis in die 1980er Jahre das Ringen um einen befreienden Umgang in den zwischenmenschlichen Beziehungen und um gesellschaftsverändernde Politik geprägt. Ihr Werk hat die Grundlage dafür gelegt, zwischenmenschliche Beziehungen als Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse zu verstehen und damit auch das Private als politisch zu erkennen.
Um einen anderen Umgang miteinander geht es auch Gerard Blitz (Antwerpen 1912-1990), der
1972 die Europäische Yoga-Union mitgegründet hat. Sicherlich ist er von dieser Diskussion mitgeprägt. Auch er war entschiedener Antifaschist, kurzzeitig Mitglied der Kommunistischen Partei und engagierte sich während des Zweiten Weltkriegs in der Französischen Widerstandsbewegung. 1945 eröffnete er ein Rehabilationszentrum für belgische Überlebende der Nazi-Konzentrationslager10. Er gründete 1950 den Club Mediterranée wobei seine ursprüngliche Idee darin bestand, nach den Schrecken des Naziterrors und des Zweiten Weltkriegs im Club Mediterranée eine ganz neue Gesellschaftsform aufzubauen, in der es keine Standesdünkel mehr gibt und das gemeinsame Ziel darin besteht, von allen gesellschaftlichen Zwängen befreit, so viel Spaß wie möglich zu haben.11 Yoga zu üben bedeutet für ihn, beziehungsfähig zu werden. „Um die Beziehung ( zu den anderen und zu sich selbst, U.F.) erträglicher zu machen, müssen wir unser Verhalten ändern,“ schreibt er, „und deshalb üben wir.“12 An anderer Stelle führt er aus: „Das Ziel ist das Leben und die Entwicklung der Fähigkeit, mit anderen Beziehungen einzugehen. Leben heißt in Beziehung stehen. Yoga ist die exakte Wissenschaft, die uns die Fähigkeit einer völligen Öffnung zur Welt ermöglicht.“13 Ausdrücklich betont er die soziale Rolle des Yoga.
Derselben Generation und mit ähnlichen politischen Erfahrungen aber aus einer völlig anderen Kultur stammt P.Y. Deshpande (Amravati/Indien 1899-1986). Auch in seiner Biografie verbindet sich politisches Engagement mit Yoga. Deshpande war als facettenreiche Persönlichkeit bekannt. Zu verschiedenen Zeiten war er Romanautor, politischer Aktivist, Philosoph und Kommentator indischer Schriften. Tief wurde er, wie viele seiner Zeitgenossen weltweit, von der Russischen Revolution von 1917 beeinflusst und engagierte sich seit den 1920er Jahren in der Widerstandsbewegung mit Mahatma Gandhi gegen die britischen Kolonialherren. In den 1930er Jahren war er Mitbegründer der Sozialistischen Kongress-Partei, einer Gruppierung innerhalb des Indischen Nationalkongresses (INC), die sich gegen den mystischen Irrationalismus und gegen den Grundsatz der absoluten Gewaltfreiheit von Gandhi wandte und eine stärker sozialistisch ausgerichtete Politik innerhalb des INC durchzusetzen versuchte. Nach der Unabhängigkeit Indiens war er zwischen 1950 und 1952 Mitglied des Provisorischen Parlaments Indiens. Später widmete er sich dem Yoga und philosophischen Themen und Kommentierungen indischer Texte, wie z.B. den Yoga-Sutras von Patanjali, die er in den 1970er Jahren verfasste und die 1976 auf Deutsch erschienen sind.
In den Yoga-Sutras sieht er eine neue, eine yogische Lebensweise beschrieben, die geeignet ist, der Bedrohung des Überlebens auf der Erde wirkungsvoll entgegenzutreten, wenn der Mensch angesichts der gegenwärtigen Krisen überleben will14. Voraussetzung für einen wirklichen Wandel sei jedoch die Klärung des Geistes. Eine solche geistige Erneuerung des Menschen sei dringend nötig, aber sie sei auch möglich. Für Deshpande ermöglicht der Ansatz des Yoga die Erschaffung eines neuen Menschen und einer neuen Welt, indem das Bewusstsein des Menschen verändert wird15. Mit diesem veränderten Bewusstsein, das die bestehenden Verhältnisse ungetrübt erkennt, weil es mit der Quelle des Seins verbunden ist, kann und soll der Mensch handelnd aktiv werden.
Doch warnt er zugleich, dass jede Revolution unvermeidlich zu einer Gegenrevolution führe16. Leider führt er diesen Gedanken nicht weiter aus. Vielleicht spiegelt sich in dieser Behauptung seine ursprüngliche marxistische Auffassung wider, die auf einem von Hegel abgeleiteten dialektischen Verständnis von Geschichtsverlauf und von Veränderung beruht. Demnach ruft jede Aktivität eine Gegenbewegung hervor, die dann zu einer Synthese beider Gegensätze führe. Aber man kann auch vermuten, dass Deshpande hier auf ein Handeln unter dem Einfluss der klesas, der störenden Kräfte wie z.B. Nichtwissen, Egoismus, Gier oder Hass anspielt.
Doch nicht jedes Handeln führt automatisch zu neuem Leid, nicht jedes Handeln ist von den klesas getrübt. Deshpande verweist auf YS1.5, in dem zwei Qualitäten der geistigen Bewegungen beschrieben werden: solche, die zu Leid führen und solche, die nicht zu neuem Leid führen.
Erst dann, wenn die Bewegungen des Geistes (Citta-vrttis) nicht mehr von bloßen Vorstellungen, Annahmen und Vorurteilen getrübt werden, führen sie nicht wieder zu neuem Leid. Erst dann können die geistigen Aktivitäten, die vrttis „zu Werkzeugen neuer Entdeckungen werden, wenn sie sich am Sehen oder an der Anschauung orientieren (Khyati-visaya), im Gegensatz zu der Orientierung an der Vorstellung“17, kommentiert er Patanjali. Dann sind die klesas überwunden und entfalten nicht länger ihre störende Kraft (YS 4.30). Dann wird der Mensch fähig, mit seinem gesellschaftlichen Engagement frei und schöpferisch zu gestalten, ohne neues Leid zu verursachen. Solcherart befreit kann der Mensch seine Beziehungen mit anderen Menschen, mit allen anderen Lebewesen und mit der Natur in einer Weise führen, dass sie den ökologischen Erfordernissen gerecht werden. „… dann wird die menschliche Situation (…) so transparent, dass sogar die dreifachen kosmischen Kräfte (die drei Grundeigenschaften der Urnatur: Licht, Aktivität, Trägheit, U.F.), deren ewig sich wandelnde Erscheinung die Welt ist, sozusagen dem Menschen dienstbar werden, damit er mit ihrer Hilfe die Not seiner existenziellen Situation in Freiheit auflösen und in eine ewig neue Schöpfung verwandeln möge18“, schreibt Deshpande.
Möglich wird diese Qualität des Handelns, weil das Bewusstsein des Yogins oder der Yogini durch die Früchte der Meditation frei geworden ist von den Erfahrungen und Eindrücken der Vergangenheit und diese Einflüsse aus der Vergangenheit nicht länger das Handeln beeinflussen. Ein aus der Meditation geborenes Bewusstsein besitzt eine völlig andere Qualität als das konventionelle Bewusstsein. Es durchschaut die Energie, die sich in allen Formen der Objekte ausdrückt, durchschaut ihr Werden in der Vergangenheit und in der Zukunft und ist befreit von der Identifizierung mit diesen Objekten, erläutert Deshpande.19 Diese Energie wird sich im Menschen ihrer selbst bewusst. Ein derart verwandelter Mensch spürt die Verbindung mit sich, mit allen anderen Lebewesen und mit der gesamten Natur. Durch seine geistige Erneuerung ist dieser Mensch in der Lage zu handeln, ohne Schaden anzurichten und ohne neues Leid in die Welt zu bringen, erklärt Deshpande.
Doch ich frage mich: wie viele Menschen gehen den Weg des Yoga bis zu diesem Ende? Wie lange dauert dieser Prozess, bis eine für den gesellschaftlichen Wandel notwendige Anzahl an Menschen diese geistige Erneuerung durchlaufen haben? Haben wir noch diese Zeit? Oder ist Zeit nicht ebenfalls eine Konstruktion unseres getrübten Bewusstseins und existiert in Wirklichkeit gar nicht? Kommt es vielleicht nur auf den Prozess an, den jeder einzelne Mensch in Richtung geistige Erneuerung durchlaufen soll?
1 Siehe den sehr lesenswerten Roman mit autobiografischen Zügen von Kumud Schramm, „Zauberland ist abgebrannt“, Frankfurt, 2021
2 Bettina Bäumer, Deshpande, Die Wurzeln des Yoga 1985, S.10
3 Arthur Koestler, Der Yoga und der Kommissar, 1974, S. 11-23 und S. 244 – 277
4 Maurice Merleau-Ponty, Humanismus und Terror 2, 1966, S: 56 – 99
5 Koestler, 1974, S.12
6 Koestler, 1974, S. 275
7 Koestler, 1974, S. 276
8 Maurice Merleau-Ponty, Humanismus und Terror 2, 1966, S. 99
9 Merleau-Ponty, 1966, S. 77
10 Aus: en.wikipedia.org/wiki/Gerard_Blitz, abgerufen am 13.8.2024
11Susanne Frömel, Club égalité, in: mare Nr. 89, Dez.2011 aus: www.mare.de/club-egalite, abgerufen am 13.8.2024
12 Gerard Blitz, Der Yogaweg des Patanjali, o.J., S. 42
13 Gerard Blitz, Der Yoga und die Yoga-Sutras, in: Die Wege des Yoga, 1990, S. 92
14 Deshpande, Patanjali, Die Wurzeln des Yoga, 1985, S. 10
15 Deshpande, Patanjali, 1985, S. 192
16 Deshpande, Patanjali, 1985, S. 25
17 Deshpande, Patanjali, 1985, S. 35
18 Deshpande, Patanjali, 1985, S. 188 f
19 Deshpande, 1985, S. 174
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Teil 6: Das Ich des Yogi
(veröffentlicht in DYF Heft 1/2025)
Das Ich des Yogins ist ein Widerspruch in sich. Der Yogin, die Yogini, hat kein Ich im konventionellen Sinn mehr. Die Yogini, der Yogin erlebt sich und die Welt als beobachtendes Individuum. Da, wo früher mit der konventionellen Wahrnehmung „Ich“ war, ist nur noch ein Punkt, von dem aus die individuelle Existenz und die Welt wahrgenommen werden. Wobei die individuelle Existenz nicht mehr als aus sich heraus existent erlebt wird, die sich von allen anderen Lebewesen getrennt fühlt. Vielmehr ist die yogische Wahrnehmungsweise dadurch geprägt, dass sie sich als eingebettet empfindet in ein Netz von Beziehungen und Wechselwirkungen mit allen anderen Lebewesen und Dingen.
Yoga bedeutet, einen Geisteszustand herzustellen und zu bewahren, den Patanjali in seinen Yoga-Sutras citta-vrtti-nirodha (YS 1.2) nennt. Für die Indologin Bettina Bäumer bezeichnet dieses Sutra eine Qualität unseres Geistes, bei der die seelisch-geistigen Bewegungen zur Ruhe kommen1. Dann entsteht eine Bewusstseinsintensität, bei der man klar und präsent ist bei allem, was man tut. In diesem Bewusstseinszustand, so schreibt sie, geschehen zwei erstaunliche Dinge: erstens nähert man sich der Versenkung durch Meditation. Ein solcherart klares Bewusstsein wird nicht gestört durch irgendwelche anderen geistigen Aktivitäten, sondern besitzt die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit auf das gerichtet zu halten, auf das man sich konzentrieren will, ohne sich ablenken zu lassen. Zweitens werden innere Spannungen, die als Leidenschaften erlebt werden, vermindert, sodass sie nicht mehr als Hindernisse auftreten.2
Hier berühren wir den Kern dessen, worum es beim Yoga-Üben geht: innere Spannungen abzubauen. Diese entstehen dadurch, dass die konventionelle Wahrnehmung von sich selbst und der Welt nicht mit dem übereinstimmen, wie die Welt tatsächlich ist und was wir als Individuen in Wirklichkeit sind. Patanjali nennt die konventionelle Wahrnehmung Avidya, Nichtwissen, falsches Verstehen. (YS 2.3) Konvention heißt wörtlich übersetzt Übereinkunft und bezieht sich auf die gesellschaftliche Übereinkunft in Bezug auf die Interpretation der Wirklichkeit und leitet daraus Normen und Regeln des sozialen Verhaltens ab. In unserem Zusammenhang geht es um weit mehr: Es geht um das Verständnis davon, was und wie die Welt ist, was und wie der Mensch ist. Je nachdem, wie das Verständnis einer Person aussieht bzw. in welches Weltbild es eingebettet ist, formt dieses Verständnis eine bestimmte Wahrnehmungsweise. Konventionelle Wahrnehmung fußt lediglich auf Worten, die die Welt beschreiben. Dabei spielen die jeweiligen Machtverhältnisse eine entscheidende Rolle, wie eine Sache oder eine Situation verstanden und interpretiert wird. Aber es handelt sich nur um Begriffe, um Worte und damit um eine durch Sprache abstrahierte Darstellung der Welt, nicht aber um die Welt selbst. Bezogen auf das Individuum prägen diese konventionellen Wahrnehmungsmuster die Zuschreibungen, mit denen unsere soziale Mitwelt uns versieht und damit unsere Identität. Unser normales, konventionelles Bewusstsein identifiziert sich mit diesen Zuschreibungen, mit diesen Interpretationen und verwechselt sie mit der Sache selbst.
Aus diesem falschen Verständnis (Avidya) entstehen Spannungen. Zuerst entwickeln wir daraus ein falsches Verständnis von uns selbst, ein falsches Selbstbild. Patanjali nennt die erste Spannung, das erste Hindernis, das aus Avidya entsteht, Asmita (YS 2.6.). Sriram übersetzt es mit Selbstbezogenheit, Bäumer mit Ichverhaftung, das Gefühl der Ich-heit, das Gefühl: ich bin. Doch was bin ich? Dieses Gefühl registriert zwei Faktoren: erstens spürt es die eigene Existenz, es gibt mich wirklich. Zweitens: ich bin nicht identisch mit den anderen Individuen. Ich bin nicht du. Und hier wird es spannend. Denn durch die derzeit vorherrschenden Konventionen wird dieses Gefühl verbunden mit der Vorstellung, ich sei getrennt von den anderen Lebewesen, getrennt von der Natur.
Und zusätzlich wird das Ich mit Zuschreibungen, mit Eigenschaften versehen.
Schauen wir uns diesen Prozess genauer an. Wir entwickeln unser Selbstbild aufgrund unserer Erfahrungen, die zuerst körperlich erlebt werden. Die Erlebnisse in und mit der Welt schreiben sich in unseren Körper und in unsere Psyche ein. Diese Prägungen, die durch den kulturellen Rahmen und das soziale Umfeld stattfinden, formen unser Verständnis von der Welt und von uns selbst.3 Jeder Mensch baut sich ein Ich, das angefüllt ist mit Zuschreibungen durch die Menschen um ihn herum, die ihm sagen, was er ist und was er tun soll; das zudem angefüllt ist mit der Identifizierung mit den eigenen Gefühlen, Gedanken, den Rollen, die er im Alltag einnimmt, mit den Konzepten, die sich sein Geist von einem Objekt macht, mit seinem Weltbild, mit seinem falschen Verständnis der Welt. Dieses Ich versteht sich in unserer Kultur schließlich als getrennt von den anderen Lebewesen und getrennt von der gesamten Mitwelt und der Natur.
„Im Grunde ist alles eine Frage der Identität, die sich von sich selbst entfremdet oder in sich selbst gründet“4, schreibt Deshpande. Für ihn ist das Ich, „dieser innere Kern der Psyche nichts anderes (…) als ein verhärteter Komplex von vrtti-sarupya“5, Identifizierung mit den seelisch-geistigen Vorgängen (YS1.4).
Halten wir fest: Nach Patanjali, wie Deshpande die Yoga-Sutras interpretiert, gibt es ein Ich des Yogins, der Yogini, zumindest noch am Anfang des Entwicklungsweges in Richtung des Yoga-Zustandes, in Richtung Samadhi. Es unterscheidet sich aber fundamental von der Vorstellung eines Ich, wie wir es in unserer Kultur kennen. Das yogische Ich ist der Ausgangspunkt der Selbstwahrnehmung und der Wahrnehmung der Welt. Der gesamte Übungsweg des Yoga besteht darin, eine unterscheidende Wahrnehmungsfähigkeit, Viveka (YS 2.26), zu entwickeln. Auf diesem Entwicklungsweg durchläuft der Yoga-Übende Mensch verschiedene Bewusstseinstransformationen, in denen Trübungen der Wahrnehmung Stück für Stück beseitigt werden, bis die Wahrnehmung kristallklar geworden ist. Dann sind alle falschen Identifikationen beseitigt. Übrig bleibt ein klarer Geist, der alles vollkommen erkennt, wie es ist. Dieser klare Geist hat kein Ich mehr, wie wir es kennen, sondern ist eine Energie, die Deshpande als reine Sehkraft6 beschreibt. Der Sehende lebt in seiner Wesensidentität, die reine Sehkraft ist, eine besondere Qualität der Wahrnehmung, reine Schau7. Dann löst sich das Ich im Sinne einer Selbstbezogenheit auf, übrig bleibt reines Wahrnehmen, reine Schau (YS 4.25). Der von den Bewusstseinstrübungen befreite Mensch lebt eine Lebensweise, die von Augenblick zu Augenblick wahrnimmt, was ist und erkennt, was zu tun oder zu lassen ist. Durch ihn wirkt die Schau als schöpferische Lebenskraft.
Bevor ein Ich transzendiert werden könne, müsse es erst einmal aufgebaut werden, lautet eine gängige Vorstellung, wenn es um Meditieren geht. In diesem Hinweis steckt die berechtigte Sorge, dass Menschen, deren Psyche instabil ist, beim Meditieren Schaden nehmen könnten. Wie in allen Lehrsituationen so ist auch beim Anleiten von Meditation grundsätzlich darauf zu achten, wie es den Lernenden geht, muss vorab geklärt werden, welche Übungen für die jeweilige Person angemessen und sinnvoll sind. Möglicherweise ist es im Zweifelsfall besser, einer instabilen Person nicht Meditations- sondern Körperübungen vorzuschlagen, die sie innerlich ausgleichen und die sie als wahrnehmende Person in ihrem Körper verankern. Doch dies ist etwas anderes, als ihr konventionelles Ich mit all seinen falschen Vorstellungen zu stärken.
Ein anderes Argument für die angebliche Unabdingbarkeit einer Ich-Identität führen Anna Trökes und Bettina Knothe an: „Eine der wichtigsten Stützpfeiler in unserer Existenz ist unsere Identität, die sich aus den vielfältigen Modulen speist, aus denen sich unser Ich zusammensetzt. Weil dieses Ich ja tatsächlich das ist, wodurch jede und jeder in ihren und seinen Beziehungen überhaupt erst funktionsfähig wird, macht es Sinn, dass wir im Laufe unseres Lebens eine ganz starke Ich-Verhaftung entwickeln.“8 Es ist sicherlich richtig, dass unsere Identität ein wichtiger Stützpfeiler in unserer Existenz darstellt. Doch dies trifft nur auf das konventionelle Bewusstsein zu und bezieht sich nur auf das (zerstörerische) Leben in unserer heutigen Kultur. Wir haben oben gesehen, dass unsere konventionelle Identität auf falschen Vorstellungen und von der Außenwelt übernommenen Zuschreibungen beruht. Trökes und Knothe unterscheiden nicht zwischen dem auf Konventionen beruhenden Ich-Bewusstsein, das Patanjali mit Asmita bezeichnet, und dem im Yoga angestrebten Bewusstsein, das nicht mehr Ich, sondern reine Schau ist. Man darf unterstellen, dass auch Trökes und Knothe das starke egozentrische Bewusstsein, das bei vielen Zeitgenossen vorherrscht, als problematisch und als Quelle vielen Unheils ansehen. Der Yoga-Weg besteht nun gerade darin, dieses konventionelle Bewusstsein mit seinem konventionellen Ich von Grund auf zu verändern. Als Yoga-Übende wissen wir aus eigener Erfahrung, dass es weitaus bessere Mittel gibt, sinnvolle Beziehungen zur objektiven Welt herzustellen, anstatt ein aufgeblähtes Ego zu kreieren, nämlich einen klaren Geist zu entwickeln, in dem die geistigen Bewegungen zur Ruhe gekommen sind und aus dem Unterscheidungsvermögen und ungetrübte Erkenntnis erwachsen. In einem solchen Geist entstehen keine Spannungen mehr, weil die Ursache für das Entstehen der Spannungen, Avidya, Nicht-Wissen, falsches Verstehen, und die daraus entstandene Ich-Verhaftung beseitigt sind. Auch sind die inneren Spannungen keine Reifungs- und Verarbeitungsprozesse unseres Gehirns, wie Trökes und Knothe behaupten, sondern Konflikte, die aus dem Widerspruch zwischen der objektiven Realität und einem getrübten Bewusstsein, das diese Realität falsch wahrnimmt, entstanden sind. Schließlich schreiben sie, dass Patanjali in seinem Yoga-Sutra keinen Zweifel daran aufkommen lasse, dass sich die Macht der Kleshas niemals völlig brechen lassen wird. Das Gegenteil ist aber der Fall. Der Übungsweg des Yoga hat gerade das Ausschalten der Kleshas, die zu Spannungen führen, zum Ziel! Deshpande/Bäumer nennen diesen Weg auch „Gegen-Schöpfung“.9 Wenn ein Mensch in eine existenzielle Situation gerät, entsteht die Möglichkeit, das Wirken der Kleshas zu erkennen und auszuschalten10. Sind sie ausgeschaltet, dann sind die geistigen Bewegungen zur Ruhe gekommen (YS 1.2) Dies ist ein Prozess, der durch beharrliches Üben und Loslösung, Gleichmut (YS 1.12) eingeleitet wird. Eingeübt wird die Fähigkeit, zuzuschauen, wie die Bewegungen des Geistes, z.B. Gedanken und Bilder, auftauchen, eine Weile bleiben und dann wieder verschwinden. Manchmal entsteht dann eine kleine Pause, ein Ruhezustand, in denen keine Geistesbewegungen stattfinden. Dann ist man bloßer Zuschauer und nimmt das Anschauen als reine Energie, als reines Sehen wahr. Dieses reine Sehen wird im Yoga der „Sehende“ (drasta) genannt (YS 2.20). Dann ruht der Sehende in seiner Wesensidentität (YS 1.3.). An anderer Stelle nennt Patanjali die Energie des reinen Sehen Purusa (YS 1.16). Deshpande/Bäumer erläutern Purusa als den inneren, geistigen Menschen, als den Mensch in seiner existenziellen Wesenheit11.
Wenn die geistigen Bewegungen zur Ruhe gekommen sind, geht das freie Leben erst richtig los. YS 1.17: Wenn die geistigen Bewegungen zur Ruhe gekommen sind, führt dieser Zustand zu verschiedenen Arten der Versenkung (samadhi), die mit immer tiefgreifenderer Erkenntnis verbunden sind.
Zuerst gibt es noch ein Ich, das erkennt.
„Dies ist ein reines ‚Ich-Sein‘(asmita), frei von allen Spannungen, die sonst mit dem Ego verbunden sind“, schreiben Despande/Bäumer, und fahren fort: „Dieses Ichbewusstsein ist frei von allen Bestimmungen und daher rein und aus sich selbst leuchtend. Wie ein Punkt hat es eine Lage, aber keine Ausdehnung, weder materiell noch geistig. Es stellt nur fest: ‚Ich bin, ich bin nicht der andere und kann nie der andere sein‘.“12 In dieser ich-haften Versenkung lebt man von Augenblick zu Augenblick, das Ich ist der Erfahrende und die Welt das Objekt der Erfahrung. Patanjali nennt diesen Versenkungszustand Sabija-Samadhi. Sabija meint hier den Keim dessen, was man als Ich-bin-heit bezeichnet. Dies ist aber noch nicht die höchste Stufe des Yoga. Dieser innere Kern der Psyche, so schreiben Deshpande/Bäumer, sei nichts anderes als der verhärtete Komplex von vrtti-sarupya13 (YS1.4), die Identifizierung mit den falschen Vorstellungen der geistigen Bewegungen und die daraus resultierenden Prägungen. Erst wenn diese Prägungen keine Wirkung mehr haben, erläutert Sriram, ist die höchste Stufe des Yoga erreicht.14 In diesem Zustand fallen alle emotionalen und begrifflichen Attribute, die man dieser Identität gegeben hat, wie geliehene Federn weg und lösen sich in nichts auf: „Man wird wie ein Wesen, das keine eigene Form hat und doch erfüllt ist von der Energie, die Leben ist. Es ist nun ‚das Leben selbst‘, das die Identität übernimmt (…).“15 In diesen Zustand gelangt man, wenn man seine Aufmerksamkeit auf die Erfahrung des leeren Zwischenraumes richtet, der frei ist von jeder geistigen Bewegung. Dann hört die Erfahrung mit dem Ich im Mittelpunkt auf und das reine Sehen ohne Mittelpunkt beginnt (Deshpande/Bäumer S. 45). Sriram beschreibt diesen Zustand als Erfahrung der Einheit (Sriram 2006, S. 48).
Damit ist die Tiefendimension des Yoga beschrieben, die zu einer Wahrnehmungs- und Lebensweise, zu einer völlig neuen Art von Intelligenz führt. Sie wird von einer völlig neuen Art der Einsicht und des Erkennens gespeist, die aus den Tiefen des eigenen Wesens auftaucht. Diese neue Einsicht, die aus dem Erleben der Einheit entspringt, ist erfüllt von Wirklichkeit, von dem Erkennen der ewigen Ordnung: „jenes geheimnisvolle Etwas, das aus dem Großen Unbekannten kommt und dahin wieder zurückkehrt, so als wären das Auftauchen und Verschwinden die Atemzüge der Wirklichkeit selber.“16 Mit dem Erleben dieser Einheit, mit dem Teil-sein vom Atmen des Lebens ist ein neuer Bezugsrahmen für das Handeln im alltäglichen Leben entstanden. Ein qualitativer Neubeginn wird möglich, der Neubeginn einer Lebensweise, die sich im Einklang mit der Natur, dem Atmen des Lebens befindet. Der Krieg des Menschen gegen sich und gegen die Natur ist damit beendet.
1 Patanjali, Die Wurzeln des Yoga, übersetzt von Bettina Bäumer mit einem Kommentar von Deshpande, 1976, S. 21
2 Ebenda S. 88
3 Ulrich Fritsch, Yoga und das Erkennen der Welt – Bewegung als Schlüssel zur Erkenntnis, DYF 3/2024
4 Patanjali, Die Wurzeln des Yoga,Deshpande/Bäumer, 1976, S. 27
5 Ebenda, S. 81
6 Ebenda, S. 113
7 Ebenda, S. 92
8 Anna Trökes, Bettina Knothe, Yoga-Gehirn, München 2010, S. 180
9 Deshpande/Bäumer, 1976, S. 96
10 Ebenda S. 88
11 Ebenda S. 39
12 Ebenda S. 44
13 Ebenda, S. 81
14 Sriram, Patanjali, Das Yogasutra, Bielefeld 2006, S.81
15 Despande/Bäumer, S. 81
16 Ebenda, S. 80
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Teil 5: Yoga-Beziehung zur Welt
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(Veröffentlicht in DYF Heft 6/2024)
Wer seine Lage erkannt hat,
wie soll der aufzuhalten sein?1
(Bertolt Brecht)
Yoga – Beziehung zur Welt
Wunderbar ist es, wenn man über ein reichhaltiges und ausgeglichenes Gefühlsleben verfügt. Wunderbar ist es, wenn die Gedanken beruhigt sind und der Geist sich klärt. Dann wird die Welt bunt und die innere Sonne scheint. Dann quält keine Unruhe, keine Verwirrung, keine Dumpfheit mehr und kein Wechsel zwischen aufgeregt und träge. Stattdessen breitet sich eine entspannte Ruhe im gesamten Organismus aus, ein lebendiges Pulsieren in allen Zellen, eine brillante Klarheit, reine Wahrnehmung, der tiefe Glückseligkeit folgt.
Patanjali nennt diesen Zustand Yoga (YS 1.2). Dieser innere Frieden, diese innere Klarheit ermöglicht ein differenziertes Wahrnehmen, sodass man alles, worauf man mit Gleichmut die Aufmerksamkeit richtet, spontan und kristallklar erkennt (YS 3.54), d.h. gefühlsmäßig durchdrungen und gedanklich versteht. Wenn man die Ausrichtung weiter aufrecht erhalten kann, stellt sich mit der Zeit ein erfüllter innerer Glückszustand ein, dem das vollkommene Erfassen und die Einheit mit dem, worauf man die Aufmerksamkeit gerichtet hat, folgt (YS 1.17). Diese tiefe Qualität der Erkenntnis, diese Erkenntnisfähigkeit nennt Patanjali samadhi (YS 2.29). Es handelt sich dabei um ein unmittelbares Verstehen, das nicht durch Gedanken entsteht, sondern durch ungetrübtes Wahrnehmen, durch reine Schau2.
Yoga üben heißt, aktiv die Welt zu gestalten
Und dann geht das Leben erst richtig los! Durch die Fähigkeit, etwas klar zu erkennen, zu fühlen und zu verstehen, durch reine Schau, entsteht eine völlig neue Beziehung zu sich und zu allen anderen Lebewesen und Dingen in der Welt. Die Probleme und die Ungerechtigkeiten in der Welt sind dann natürlich nicht verschwunden, aber ein anderer Umgang mit ihnen wird möglich. Anstatt sich täglich neu zu ärgern und dann vielleicht irgendwann resignierend zurückzuziehen, kann man eine andere innere Haltung einüben, die Kraft und Mut zu beständigem Engagement bereitstellt. „Fast jede Tätigkeit kann eine läuternde Wirkung auf uns haben und dadurch allmählich zu Yoga führen. (…) Entscheidend dafür ist die innere Haltung, mit der wir eine Tätigkeit ausführen.“ 3 Jede Aktivität kann als Übung des Yoga angesehen werden, wenn sie mit Leidenschaft (tapas), Vernunft (Svadhyaya) und Hingabe (Isvarapranidhana) ausgeführt wird, erläutert Sriram das Yoga-Sutra 2.1.
Tapas bedeutet, die eigene Trägheit überwinden und sich mit Herzblut, kraftvoll und engagiert einzumischen. Ein solches Engagement birgt jedoch immer die Gefahr, dass man sich dabei aufreibt, die eigenen Bedürfnisse zu lange hinten an stellt und im Burnout landet. Um ein Ausbrennen zu vermeiden, gilt es, das Ziel im Blick zu behalten, aber nicht zu hohe Erwartungen an die Ergebnisse des eigenen Engagements zu stellen. Denn ob die gewünschten Ergebnisse eintreten, ist nicht vorhersehbar. Häufig entwickeln sich die Verhältnisse anders als gewünscht.
Das Engagement soll eine bestimmte Qualität aufweisen: die Handlung ohne Erwartungshaltung liebevoll und mit Hingabe (Svadhyaya) auszuführen und währenddessen die Tätigkeit zu genießen! Denn während des Handelns soll sich Yoga ausdrücken! Eine Lebensführung, die zielgerichtet ist und dabei von Augenblick zu Augenblick handelt, eine Lebensführung, in der wir achtsam in der Gegenwart leben und daraus Freude schöpfen. Bäumer interpretiert Tapas deshalb als Intensität des Seins, als Große Empfindsamkeit für das, was innen und außen geschieht.
Zwischen begeistertem Engagement und genussvoller Hingabe wirkt die Vernunft (Isvarapranidhana) als vermittelnder Faktor. Sie sorgt dafür, dass wir nicht im Burnout landen, zu waghalsig oder zu rücksichtslos werden. Sie ist auch darauf bedacht, dass wir nur solche Mittel verwenden, die das angestrebte Ziel des Yoga bereits im Engagement vorweg nehmen. Patanjali bietet dazu einen ethischen Orientierungsrahmen, den er in den ersten beiden Gliedern des Yoga-Übungswegs in Sutra 2.28 beschreibt.
Yoga üben bedeutet, sich einzumischen, seine Beziehungen und sein Lebensumfeld aktiv zu gestalten, damit wir für den zu Beginn beschriebenen wunderbaren Yoga-Zustand günstige Entfaltungsmöglichkeiten in unserem sozialen Umfeld und in unserer Gesellschaft herstellen.
Denn wir üben Yoga immer in einem sozialen Umfeld und unter gesellschaftspolitischen Bedingungen: „Die sozialen Beziehungen spielen eine sehr wichtige Rolle bei der Entfaltung unserer Ziele. Zumindest insofern, dass wir nicht friedlich üben können werden, solange wir in schlechten Beziehungen zu den Menschen um uns herum stehen und in unglücklichen Verhältnissen leben“, schreibt Sriram.4 Auf die lebenswichtige Bedeutung von Beziehungen verweist auch Gerard Blitz, Mitbegründer und langjähriger Präsident der Europäischen Yoga-Union, wenn er hervorhebt, dass wir Yoga üben, damit wir uns ändern, um unser Leben in der Beziehung zur Gesellschaft erträglicher zu machen.5
Hier begegnen wir einem bei heutigen Yoga-Übenden weit verbreiteten Missverständnis: Viele meinen Yoga zu praktizieren, wenn sie auf der Matte sitzen und Asanas, Pranayamas und Meditation üben. Aber das sind lediglich wirksame Hilfsmittel. Ziel ist nicht, z.B. ein Asana zu beherrschen, sondern mit Hilfe der Asanas bestimmte Qualitäten und Fähigkeiten auszubilden. Aus der Analyse der verschiedenen Stufen der Yogaerfahrung, die Patanjali im 1. Teil der Yoga-Sutras beschrieben hat, ergibt sich ein Streben, das Leben so zu führen, dass es mit Yoga oder Samadhi übereinstimmt, betont die Indologin Bettina Bäumer6. Immer wieder schreibt sie, dass es beim Yoga darum geht, eine andere Lebensweise zu entwickeln. Denn die Qualitäten des Yoga entfalten sich nicht auf der Yogamatte, sondern im Alltagsleben. Diese andere Lebensweise entspringt einem Bewusstsein, das durch Yoga verwandelt worden ist, ein Bewusstsein, das ungetrübt als reine Schau die Welt erkennt und diese Klarheit bei allem, was man tut, beibehält.
Heftig diskutierten wir in den 1990er und 2000er Jahren in den Yoga-Ausbildungsseminaren im Rahmen des Kontaktstudiums, das der BDY damals angeboten hatte, über die Bedeutung von Patanjalis Gliederung des Yoga-Übungsweges. Wir suchten nach einer Antwort darauf, warum er als erstes Glied Yama, den Umgang im zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Bereich, gesetzt hatte. Unausgesprochen gingen wir davon aus, dass unter Yoga-Üben die Praxis auf der Yoga-Matte gemeint war. Rudolf Fuchs und Margret Distelbart empfahlen sogar, die ersten beiden Glieder Yama und Niyama zu überspringen und mit dem dritten Glied, der Asana-Praxis, zu beginnen. Sie fürchteten, dass wir den ethischen Geboten der Yamas, nicht gewachsen seien und gestanden ein, dass sie sie nicht verstünden: „Zu den hohen Idealen, denen wir in Yama und Niyama begegnen, können wir uns nur erheben. Verstehen können wir sie nicht.“7
Sinn macht die Reihenfolge des Yoga-Übungswegs tatsächlich nur, wenn man, wie es Sriram und Blitz formulieren, den Yoga-Weg als Gestaltung der sozialen Beziehungen und gesellschaftlichen Verhältnisse versteht.
Der Mensch und die Welt sind eins
Yoga üben bedeutet, den Menschen in seiner Ganzheit zu betrachten und dafür zu sorgen, dass er seine Ganzheit leben kann. Ausdrücklich weist Bettina Bäumer darauf hin, dass es im Yoga darum geht, „das Wesen und die Struktur der Welt zu verstehen, in der man sein Dasein hat“, die existenzielle Situation des Menschen zu begreifen.8 Doch dies ist nur möglich, so fährt sie fort, wenn man in einem Zustand verweilt, in dem die vorstellende Bewegung des Denkens zur Ruhe gekommen ist, einem Zustand, in dem nichts herrscht außer einem intensiven Bewusstsein dessen, was ist, innerlich und äußerlich, von Augenblick zu Augenblick. Doch zur existenziellen Situation des Menschen gehören auch die gesellschaftlichen Bedingungen, in denen er lebt. Folglich müssen nicht nur die hinderlichen Strukturen unseres Geistes erkannt und beseitigt werden, sondern auch die hinderlichen gesellschaftlichen Umstände. Denn die hinderlichen Geistesstrukturen sind kein Wesensmerkmal unseres Geistes. Sie können verändert, aufgelöst werden, wie es Patanjali in den Yoga-Sutras beschreibt. Sie wurden durch die soziale Mitwelt und durch die politischen Umstände erschaffen. Und unsere gesellschaftlichen Verhältnisse prägen unsere Psyche immerzu und ständig. Deshalb wird das Yoga-Üben als ein Reinigungsprozess beschrieben, der nie zu Ende ist, genau so, wie man sich jeden Tag neu die Zähne putzen muss.
Wer den Yoga-Übungsweg lediglich auf den Geist eines Individuums bezieht, verkennt, dass der Mensch nicht isoliert auf der Welt existiert, sondern innig in ein Gewebe sozialer und politischer Beziehungen eingewoben ist, das ihn prägt und das er mit prägt, ein Gewebe von Umständen, die ständig auf ihn einwirken ebenso wie er ständig auf diese Umstände einwirkt.
Yoga üben bedeutet, Verhaltensweisen und Beziehungsqualitäten zu entwickeln, die sich an der Ethik des Yoga orientieren, wie Patanjali sie in den Yamas und Niyamas (YS 2.30 -2.32) dargelegt hat. Yoga üben bedeutet, den Menschen in seiner Ganzheit zu verstehen, in seiner Ganzheit als Mensch und in seiner Verwobenheit mit seiner Mitwelt. Entsprechend reicht es nicht aus, die Yamas nur auf die Vorgänge in der eigenen Person, in der eigenen Psyche zu beziehen, sondern man muss sie bei der Auseinandersetzung mit der Welt, in der Auseinandersetzung mit den Bedingungen, unter denen wir leben, umsetzen.
Ein Beispiel: Ahimsa, das erste der fünf Yamas, der „Übungen für gutes Handeln“, wie Eckard Wolz-Gottwald die Yamas nennt9, wird mit „Nichtverletzen“oder „Gewaltlosigkeit“ übersetzt. Doch nicht nur körperlich, sondern weder mit Worten noch mit Gedanken soll irgendeine Gewalt ausgeübt werden. Aber dann schränkt Wolz-Gottwald ein, dass es bei Ahimsa als yogischer Übung nicht um das Minimieren verletzender Handlungen gehe. Die Übung bestehe vielmehr darin, im Moment des Drangs nach Gewalt den Blick nach innen zu richten und so Zorn, Wut oder Gier bewusst wahrzunehmen. Dem Drang zu verletzen sei der Impuls der Gewaltlosigkeit entgegenzusetzen. Durch die eigene friedvolle Haltung könne auch beim potenziellen Gegner die Feindschaft schwinden. Weiter schreibt er: “Wem keine Feindschaft begegnet, welchen Grund sollte derjenige noch haben, Gewalt auszuüben? Die Notwendigkeit von Ahimsa als Gebot hat sich aufgelöst.“10 Wie eng ist diese Sichtweise. Sie verliert kein Wort über die verletzenden Anfeindungen, denen Menschen ausgesetzt sind, die nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen. Wie viele unserer Mitmenschen erleben täglich Formen von Gewalt! Wenn jemandem keine Feindschaft begegnet, so heißt das nicht, dass es keine Gewalt mehr gibt und dass man nicht vielleicht morgen Gewalt erlebt. Außerdem blendet Wolz-Gottwald aus, wie sehr wir allein durch unser Nichtstun, durch unser Wegsehen, durch unsere Gleichgültigkeit Anteil an ausgeübter Gewalt haben. Er ignoriert die strukturelle Gewalt, die unser Leben durchzieht und an der wir teilhaben.
Dieses Yama fordert auf, das eigene Verhalten zu überprüfen, herauszufinden, wo man andere mit Worten oder Taten verletzt und dies zu verändern sowie die Beteiligung an struktureller Gewalt zu durchschauen und zu beenden. Ahimsa lediglich als geistige Übung anzusehen, die nur im einzelnen Menschen geschieht, leistet der Heuchelei und der Doppelmoral kräftigen Vorschub. Umgekehrt steckt in dem Yama, im gewaltlosen Verhalten (Denken, Reden, Handeln) eine große verändernde Kraft, nicht nur für die eigene Psyche, sondern auch für die Herstellung einer friedlicheren Gesellschaft. Dieses Potenzial gehört verstärkt herausgestellt.
Ein weiteres Beispiel: Asteya, das mit „Nichtstehlen“, „Nichthorten“ übersetzt wird. Damit ist mehr gemeint als nicht zu nehmen, was einem nicht gehört. Asteya fordert zur Reflexion darüber auf, was ich tatsächlich an materiellen und immateriellen Gütern für mein Leben benötige, fordert z.B. auf, beim Kauf zu berücksichtigen, unter welchen Bedingungen die Güter hergestellt wurden, beispielsweise ob sie mit Kinderarbeit oder mit anderen sozialen Missständen (schlechten Arbeitsbedingungen, ungleicher Lohn für Frauen,…) einhergehen oder welche Kosten für die Umwelt, für Tiere, Pflanzen, für die Erde damit verbunden sind usw. Keinesfalls hat sich das Gebot, nicht zu stehlen, damit erübrigt, wie Wolz-Gottwald behauptet, dass man lediglich nicht nimmt, was einem nicht gehört aber weiterhin, wie wir westlichen Menschen es tun, auf Kosten der Umwelt und zukünftiger Generationen konsumiert.
Aus den ethischen Geboten drängen sich politische Verhaltensweisen und Forderungen auf, etwa, im Umgang mit Konflikten auf Gewalt zu verzichten, nicht teilzuhaben an militärischer Kriegsführung, auch nicht strukturelle Kriegsvorbereitung zu betreiben, wie es die Bundesrepublik seit Beginn des Krieges Russlands gegen die Ukraine in Deutschland macht. Nicht-militärische Verteidigung könnte z.B. in Sozialer Verteidigung bestehen. Es drängen sich Forderungen nach einer gerechten Verteilung von Gütern und Chancen für alle Menschen auf, egal ob sie schwarze oder braune oder weiße Haut haben, egal ob sie aus Kenia, Bolivien oder Deutschland stammen. So betrachtet, steckt in der viel zu wenig beachteten Ethik des Yoga ein enormes zukunftsweisendes Potenzial, mit dem wir nicht nur einen friedvolleren Geist, sondern auch eine friedvollere Welt erschaffen können. Und nicht nur die Ethik des Yoga, sondern der gesamte Übungsweg des Yoga beinhaltet einen neuen Lebensstil, eine ganzheitliche Lebensweise, die uns vor dem Aussterben bewahren kann11.
Ende des Artikeltextes.
Bitte fügt in meine Vita vor meiner Homepage-Adresse folgenden Zusatz ein:
Zum Thema „Yoga und Gesellschaft“ erscheint 2025 sein Buch „ Der ökologische Mensch“.Vielen Dank.
1 Bertolt Brecht: Lob der Dialektik (1934)
2 Bettina Bäumer, Patanjali, Die Wurzeln des Yoga, München, Wien, 1985, S.14 f
3 R. Sriram:Patanjali, Das Yogasutra, Bielefeld 2006, S. 84
4 R. Sriram:Patanjali, Das Yogasutra, Bielefeld 2006, S 91
5 Gerard Blitz, Der Yogaweg des Patanjali – Ein Leitfaden für Übende und Lehrende, Petersberg o.J., S. 42
6 Bettina Bäumer, Patanjali, Die Wurzeln des Yoga, München, Wien, 1985, S. 83
7 Der Weg des Yoga, Handbuch für Übende und Lehrende, HG. BDY, Petersberg 1991, S. 73
8 Bettina Bäumer, Patanjali, Die Wurzeln des Yoga, München, Wien, 1985, S.16 f
9 Eckard Wolz-Gottwald, Die Yoga-Sutras im Alltag leben, Petersberg, 2019, S. 84 ff
10 Eckard Wolz-Gottwald, Die Yoga-Sutras im Alltag leben, Petersberg, 2019, S. 87
11 Bettina Bäumer, Patanjali, Die Wurzeln des Yoga, München, Wien, 1985, S. 116
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Teil 4: Yoga und Sprache
(Veröffentlicht in DYF Heft 5/2024)
Yoga ist ein Weg der Bewusstwerdung und der Klärung des Geistes, sodass wir uns als göttliche Lebewesen erkennen können. Damit wir wahrnehmen können, wie wir von der allumfassenden Lebenskraft durchdrungen werden, müssen wir die Filter beseitigen, die uns daran hindern, dies wahrzunehmen. Und wir müssen unsere Erlebnisse benennen können. Sonst gleitet unser Blick darüber hinweg, ohne dass wir unser Eingewobensein in das Netzwerk des Lebens überhaupt bemerken. Wir müssen die Faktoren und Strukturen erkennen, die uns an der Wahrnehmung unseres göttlichen Wesens hindern.
Eines dieser Hindernisse ist unsere Sprache, die wir im Alltag benutzen.
„Wer in unserer Zeit statt Volk Bevölkerung
und statt Boden Landbesitz sagt,
unterstützt schon viele Lügen nicht.
Er nimmt den Wörtern ihre faule Mystik.“1
(Bertolt Brecht)
Die geheime Struktur der Sprache
Was dem Sprechen vorausgeht:
Sprechen ist niemals neutral. Die Worte, die man benutzt, sind es noch weniger. In Worte fließt ein bestimmter Blick auf die Welt ein; die Worte, die man wählt, spiegeln eine bestimmte Art wider, die Welt wahrzunehmen. Damit transportieren sie unausgesprochen eine bestimmte Weltanschauung.
Unsere Überzeugungen über das, „was ist“, sind von unsichtbaren Annahmen geformt, die durch Geschichte, Kultur, soziale Zugehörigkeit und persönliche Erfahrungen beeinflusst sind.
Die vorherrschende Kultur bildet den Maßstab für Bewertungen, aus denen sich Kategorien und Stereotypen bilden.
Zugleich erschaffen wir die Welt durch Sprache. Welche Wörter, Begriffe und Kategorien wir in einer bestimmten politischen Ökonomie und Kultur benutzen, entscheidet mit darüber, welche Phänomene als bedeutend gelten, ob und wie sie moralisch aufgeladen werden und welche anderen Phänomene unbenannt bleiben und damit ignoriert werden. So formen wir in uns allen und ständig einen Bewertungsrahmen für das, was wir wahrnehmen und für das, was wir nicht wahrnehmen. Auf diese Weise filtern wir sehr effizient unsere Wahrnehmung. Dies ist kein rein individuelles Geschehen, sondern ein gesellschaftlicher Vorgang.
„Eine vorherrschende Weltsicht ist unglaublich mächtig. Sie setzt Phänomene unbemerkt in einen geordneten mentalen Rahmen. Dieser wiederum verdrängt andere, potenziell wichtige Betrachtungsweisen der Welt“, schreiben Silke Helfrich und David Bollier2 .
Diese Wahrnehmungsfilter wirken auch in uns, die wir Yoga üben; und sie müssen erkannt und beseitigt werden, wenn wir den Zustand des Yoga, die unmittelbare Erkenntnis durch ungefilterte Wahrnehmung, erreichen wollen. Außerdem benötigen wir eine Sprache, mit deren Hilfe wir die inneren Prozesse und Wirkmechanismen beschreiben können, mit denen wir im Yoga und beim Meditieren konfrontiert sind.
Wie schwierig ist es, unseren Liebsten mitzuteilen, was wir z.B. beim Meditieren erleben oder was eine bestimmte Asana-Praxis in uns auslöst. Häufig fehlen uns dafür die geeigneten Worte, die in der Lage sind, die Erfahrungen zu benennen.
Sprache verändert unsere Wahrnehmung
Weil ich das Wort kenne, nehme ich wahr, was es benennt.
Wilhelm von Humboldt sagte einst, in jeder Sprache liege „eine eigenthümliche Weltsicht“. Wenn dem so ist, wie sehr unterscheidet sich dann die Weltsicht von einer Sprache zur anderen?, fragt die Journalistin Kübra Gümüsay3, und fährt fort:
„Ich will mein immer wiederkehrendes Fernweh erklären oder Schadenfreude. Für jeden dieser Begriffe brauche ich in der Übersetzung (ins Türkische, U.F.) ganze Sätze, bis mein Gegenüber ansatzweise versteht, was ich gedacht, gemeint oder gefühlt haben könnte. So leben manche Gefühle nur in bestimmten Sprachen. Sprache öffnet uns die Welt und grenzt sie ein – im gleichen Moment.“
Menschen, die in zwei oder mehr Sprachen zuhause sind, berichten oft davon, dass sie in jeder der Sprachen eine andere Persönlichkeit haben. Ist das möglich? Erwerben wir gar, wie es ein tschechisches Sprichwort besagt, mit jeder Sprache, die wir erlernen, eine neue Seele?, fragt Kübra Gümüsay. „Ich spreche, schreibe und denke in drei, ich fühle in vier Sprachen. Mein Tempo beim Sprechen, mein Ton, meine Gefühlslage ändert sich von Sprache zu Sprache“, bekennt sie.
Unsere Sprache mit ihren grammatischen Strukturen, Regeln und Normen hat Einfluss auf grundlegende Strukturen unserer Wahrnehmung. Sie beeinflusst z.B. unsere Wahrnehmung von Raum. So gibt es in der Sprache der Thaayorre im Norden Australiens keine Wörter für rechts und links, statt dessen verwenden die Thaayorre Himmelsrichtungen, etwa so: Da ist eine Ameise an deinem Nordwest-Arm. Oder: Kannst du die Tasse bitte nach Südsüdost schieben?
Unsere Sprache wirkt sich außerdem auf unsere Wahrnehmung von Zeit aus. So gibt es Kulturen wie die Priaha im Amazonasgebiet Brasiliens, die keine Vergangenheitsformen in ihrer Sprache haben. Ihr Leben und ihre Wahrnehmung ist völlig auf die Gegenwart gerichtet.
Und wie erleben wir das Fließen der Zeit? Fließt sie von links nach rechts oder von rechts nach links? Wenn ich einen Menschen, der Deutsch als Muttersprache gelernt hat, bitte, die Bilder einer Person von Geburt bis ins hohe Alter zeitlich zu sortieren, so würde sie vermutlich links mit den Kindheitsbildern beginnen und nach rechts dem Alter nach sortieren. Im Deutschen und in allen aus dem Lateinischen abgeleiteten Sprachen schreiben und lesen wir von links nach rechts. Und entsprechend nehmen wir auch das Fließen der Zeit wahr. Hebräisch- oder arabischsprachige Menschen würden das Gegenteil tun, also von rechts nach links sortieren. Sie schreiben von rechts nach links. Als ich begann, Arabisch zu lernen, konnte ich im Kopf spüren, wie durch die arabische Sprache mein Blick auf die Welt gegen den Strich gebürstet wurde. Ich erlebte leiblich, wie mich diese Sprache umformte. Während ich einübte, von rechts nach links zu schreiben, fühlte ich, wie die Richtung meines inneren Sehens und meines Gedankenflusses irritiert wurde und sich allmählich veränderte.
Aber wie würden die Thaayorre die Bilder sortieren? Die Antwort lautet: mal von links nach rechts, mal von rechts nach links, mal von vorne nach hinten, mal von hinten nach vorne – je nachdem, wie die Versuchsperson gerade sitzt. Säße sie nach Norden ausgerichtet, würde sie die Bilder von rechts nach links sortieren. Würde sie sich in eine andere Richtung drehen, würde sie auch andersherum sortieren. In ihrer Wahrnehmung dient nicht das eigene Ich als Bezugsrahmen, sondern die sie umgebende Natur, einer Landkarte vergleichbar, in der sie als Person einen Punkt darstellen – wohingegen wir es gewohnt sind, Raum und Zeit als Linie wahrzunehmen, die ihren Ausgangspunkt im Ich der Person hat.
Im Vergleich wird deutlich, wie uns eine bestimmte Sicht auf die Welt anerzogen wird. Alles dreht sich in der sogenannten zivilisierten Welt um uns Menschen, genauer: um das eigene Ich und seine individuelle Wahrnehmung. „Wie wäre es“, fragt Kübra Gümüsay, „wenn wir eine Sprache wie die Thaayorre sprächen, die uns ständig daran erinnert, dass wir nichts anderes sind als ein kleiner Punkt auf einer riesengroßen Karte; dass die Zeit über uns hinwegfließt, unabhängig vom Standpunkt des Ichs? Mit welchen Grundsätzen, welcher Demut würden wir andere Menschen, Lebewesen, die Natur betrachten?“4
Wenn ich meditiere, dann geschieht es mir gelegentlich, dass sich mein Ich zu einem Punkt zusammenzieht, während mein Erleben sich weit über meine sichtbare Körpergrenze hinaus ausdehnt. Durch diese Erlebnis-Weite fließen mir meine inneren Bilder entgegen, manchmal von links nach rechts, manchmal von schräg vorn; aus ganz unterschiedlichen Richtungen kommen sie zu mir und fließen durch mich hindurch. Meine Gefühle hingegen breiten sich von dem Punkt in der Mitte heraus in konzentrischen Kreisen aus, bis sie manchmal mein gesamtes Erleben ausfüllen.
Welche Relevanz hat die Beobachtung der Fließrichtung für unser Leben, für unsere Yoga-Praxis?
Zuerst einmal lenkt sie unsere Aufmerksamkeit auf Phänomene, die in unserer Innenwelt stattfinden. Wir können erkennen, dass unser innerer Raum nicht leer ist, sondern ein Ort vielfältiger Geschehnisse, die wir beobachten können.
Sodann bietet sie für unsere Erlebnisse beim Meditieren einen Bezugsrahmen. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf unsere geistigen Bewegungen (Patanjali nennt sie citta) richten, können wir unterschiedliche Fließrichtungen wahrnehmen: in meinem Beispiel nicht mehr nur von links nach rechts, sondern auch von der Peripherie zur Mitte. Und wenn wir einüben, die Welt nicht nur aus der Ich-zentrierten Wahrnehmung heraus zu betrachten, sondern ebenso wahrnehmen, wie die „äußeren“ Einflüsse auf unsere geistige Aktivität wirken, dann erleben wir die Fließrichtung zusätzlich auch von außen nach innen. Gelingt es mir schließlich, den gesamten Prozess der Wechselwirkung zwischen mir und meiner Mitwelt zu betrachten, so erlebe ich verschiedene Fließrichtungen zur selben Zeit in mir. Während dieser Beobachtungen befinde ich mich außerhalb der fließenden Ströme, nur noch durchpulst von der puren Lebenskraft, die nicht in mir ihren Ursprung hat, sondern an der ich teilhabe, vielleicht vergleichbar mit den Thaayorre, wenn sie sich als Punkt empfinden, eingebettet in die Natur.
In unserer Sprache gilt die Regel: 99 Sängerinnen
und 1 Sänger sind zusammen 100 Sänger.
Futsch sind die 99 Frauen, nicht mehr auffindbar,
verschwunden in der Männerschublade.
(Luise F. Pusch)5
Unsere Sprache beeinflusst unsere Wahrnehmung in der Gegenwart.
Stellen wir uns folgendes vor: Ein Vater und ein Sohn sind mit dem Auto unterwegs und haben einen Unfall. Der Vater stirbt während der Fahrt zum Krankenhaus, der Sohn muss sofort operiert werden. Bei seinem Anblick jedoch erblasst einer der diensthabenden Chirurgen und sagt: „Ich kann ihn nicht operieren – das ist mein Sohn.“ Wer ist diese Person? Die Wissenschaftlerin Dr. Annabell Preussler verwendet dieses Beispiel, um zu verdeutlichen, welche Bilder sich aufgrund unseres Sprachgebrauchs in unseren Köpfen festsetzen. Die Antwort lautet: Es ist die Mutter. Doch auch in dieser Antwort steckt eine heteronormative Vorstellung. Es könnte sich ebenso um eine homosexuelle Partnerschaft handeln; ein Kind könnte also zwei Väter haben, oder auch einen biologischen und einen sozialen Vater. Aber diese Möglichkeiten werden in der Regel nicht mitgedacht. Unsere Sprache, die Menschen nach ihrem biologischen Geschlecht kategorisiert, lässt uns sogleich bestimmte Rollenbilder und Merkmale mitdenken. Dadurch erschwert sie, Menschen in ihren Eigenarten zu betrachten, und zuerst ihr Wesen und ihre Besonderheiten zu erfassen, anstatt sie sogleich in Kategorien Mann oder Frau zu pressen.
Im Yoga haben wir gelernt, dass es um die Qualität der Wahrnehmung geht und darauf ankommt, die Schleier zu beseitigen, die unser Wahrnehmen beeinträchtigen. Was wir leicht übersehen ist, dass bereits in der Sprache bestimmte Schleier eingebaut sind. Was wir außerdem leicht übersehen ist, dass bereits die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe die jeweilige Wahrnehmung beeinflusst – und zwar durch Zuschreibungen von außen! Dabei spielt es eine große Rolle, ob man zu der bei uns vorherrschenden Kultur der alten weißen Männer gezählt wird (die manche Politiker als sog. „Leitkultur“ verpflichtend für alle Menschen in der Bundesrepublik machen wollen) oder zu einer gesellschaftlich ausgegrenzten Gruppe. Gehört man zur Norm oder weicht man davon ab?
Durch die Kategorien und Stereotypen, durch eingebürgerte Vorurteile mit festen Vorstellungsklischees, in die wir jeweils gepresst werden. Zwar können wir durch unsere Yoga- und Meditationspraxis unsere eigenen Vorurteile und Stereotypen erkennen und abbauen. Aber trotzdem wirken sie weiter auf unser Leben ein.
Der afroamerikanische Psychologe Claude Steele beschreibt den Einfluss, den gesellschaftliche Stereotypen auf die betroffenen Gruppen haben. Er fand heraus, dass die Angst, negativen Stereotypen zu entsprechen, dazu führen kann, dass genau das Prophezeite eintritt. Soziale Identität beeinflusst schulische Leistungen und das Erinnerungsvermögen. Sie wirkt sich darauf aus, unter welchem Beweisdruck Menschen stehen und wie entspannt sie sich in einer bestimmten Umgebung fühlen. Dabei zeigte er, dass allein das Wissen um die Existenz von negativen Annahmen über die eigene soziale Gruppe Einfluss auf die Leistungsfähigkeit von Menschen hat. Dabei wirken die negativen Zuschreibungen der Stereotypen unabhängig von der Anwesenheit Einzelner, die diese Stereotypen für richtig halten. Sie wirken bereits dadurch, weil sie in der Gesellschaft existieren und weil die Betroffenen das wissen.6
Soziale Herkunft, Hautfarbe und Geschlechtszuordnung sowie Vermögensverhältnisse prägen die Wahrnehmung und damit die Sprache. Sie prägen auch unser Verständnis als Yoga-Übende und Yoga-Lehrende. Inwieweit prägen sie unser Verständnis von dem, was wir unter Yoga verstehen?
Diese Prägungen finden statt, noch bevor wir überhaupt in der Lage sind, dies bewusst wahrzunehmen. Sie ermöglichen oder verwehren bestimmte Entfaltungsmöglichkeiten. Dies lässt sich nicht allein durch Klärung des Geistes verändern, sondern durch die Schaffung gerechter Lebensverhältnisse und gleicher Entwicklungsmöglichkeiten für alle Menschen!
In der Sprache drücken wir unsere (meist falschen) Vorstellungen von uns selbst und von der Welt aus und erschaffen die heutigen Zustände ständig neu. Wir können aber auch durch mehr Achtsamkeit und durch eine ungetrübte Wahrnehmung ein anderes Weltverständnis erschaffen. Der erste Schritt dazu ist, die im Verborgenen liegenden Grundüberzeugungen, die sich in unsrer Sprache niederschlagen, zu erkennen, zu überprüfen und neu zu formulieren.
Schaffen wir neue Sprachbilder, in denen wir beschreiben, wie es sich anfühlt, wenn der Geist ruhig und klar ist, wenn die Gefühle lebendig und ausgeglichen sind und wenn der Leib prickelt vor Lebenskraft. Schaffen wir neue Sprachbilder, in denen wir ausdrücken, dass alles miteinander verbunden ist, dass die Dinge und Lebewesen gegenseitig voneinander abhängig sind, dass wir als Menschen Teil eines ökologischen Netzes sind und dass unser Wohlergehen vom Wohlergehen aller Lebewesen abhängig ist!
1 Bertolt Brecht, „Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit“, Unsere Zeit 8, Nr. 2/3 (1935), S. 23 f
2 Silke Helfrich, David Bollier: Frei, Fair und Lebendig – die Macht der Commons, Bielefeld 2020, S. 35
3 Kübra Gümüsay, Sprache und Sein, München 2021, S. 13
4 Kübra Gümüsay, Sprache und Sein, München 2021, S. 18 ff
5 Luise F. Pusch, Alle Menschen werden Schwestern. Feministische Sprachkritik, Frankfurt 1990 S. 101 in: Gümüsay, 2021, S. 18
6 Claude Steele, Whistling Vivaldi. How Stereotypes Affect Us and What We Can Do, New York, 2011, in: Gümüsay 2021, S.103 f
Teil 3:Yoga und Wahrnehmung(Veröffentlicht in DYF, Heft 4/2024)
Die Qualität des Wahrnehmens ist der Schlüssel zu Erkenntnis und Erleuchtung.
Zugleich ist Wahrnehmen kein rein individueller Vorgang, sondern ein ganz und gar gesellschaftliches Geschehen. Wahrnehmung prägt unser Erleben, Fühlen und Denken, ohne dass wir uns dessen in seinem Umfang und seiner Tragweite bewusst wären.
„Wenn eine Person im Yoga gefestigt ist,
erkennt sie in allen Wesen sich selbst,
und in sich selbst alle Wesen.“
(Bhaghavad Gita, 6.29)
Einleitung
Für das Erkennen von sich und der Welt spielen drei Faktoren eine zentrale Rolle: die Menge und Qualität der Bewegungen, die Qualität der Wahrnehmung sowie die Reflexion über das Erlebte.
Das bewusste Erleben gewohnter und neuer Bewegungsweisen ermöglicht, die eigenen Begrenzungen zu erkennen und zu überschreiten. Bewusstes Erleben ermöglicht zudem, ungenutzte Möglichkeiten als Individuum wie auch als Gesellschaft auszuloten. Dies ist besonders in Umbruchzeiten wie der heutigen eine unabdingbare Voraussetzung dafür, dass wir unser Leben und Zusammenleben zukunftserhaltend gestalten können.
Körperliche Bewegungen spielen eine zentrale Rolle bei der Verfeinerung der Wahrnehmung und damit für die Entwicklung von Bewusstsein.
Der göttliche Funke, der in die Materie herabgestiegen ist, wie Singh in seiner metaphorischen Zusammenfassung zu den Spanda-Karikas-Sutras geschrieben hat1, beginnt seine Reise heimwärts, indem er sich seines falschen Bildes bewusst wird, das er sich von sich selbst und der Welt gemacht hat. Nur auf der menschlichen Ebene, im grobstofflichen und feinstofflichen menschlichen Körper, kann der Aufstieg zum göttlichen Status beginnen, betont Singh.2
Dieser Bewusstwerdungsprozess geschieht im eigenen Leib und mit Hilfe des eigenen Leibes. Nur dort kann er geschehen. Denn körperliche Bewegungen ermöglichen Erfahrungen mit sich und der Welt und bilden damit das Erlebnisfeld, in dem sich bewusstes Wahrnehmen entfalten kann. Es ist ein Bewusstwerdungsprozess, der durch den Körper hindurch geschieht und bei dem sich die Empfindungsfähigkeit und die Wahrnehmung auf immer weitere Bereiche ausdehnt.
Körperliche Bewegungen prägen unser Verständnis von der Welt, und sie prägen unser Selbstbild. Das Erlebte in Form von körperlichen Empfindungen wird als Erfahrung abgespeichert und verdichtet sich zu Bewegungs- und Verhaltensmustern, die wiederum zu Gewohnheiten werden und zugleich die Grundlage für den Umgang mit zukünftigen Situationen bilden.
Die Blinden und der Elefant
Seit meiner Yoga-Lehrausbildung begleitet mich folgende Geschichte: Fünf Blinde stehen vor einem Elefanten und versuchen durch Ertasten herauszufinden, um was für ein Objekt es sich dabei handelt. Der eine tastet am Vorderfuß des Elefanten. „Oh, es ist ein Baum,“ stellt er fest. Der zweite hält den Schwanz des Elefanten in der Hand. „Nein, es ist ein Wedel.“ Der dritte befühlt einen der beiden Stoßzähne. „Nein, es ist ein Ast! “ „Falsch, es ist eine riesige Masse mit Rundungen und ein paar Borsten darauf,“ entgegnet der, der den Rumpf des Tieres berührt hat. „Was redet ihr – es ist wie ein riesiger Fächer“, fährt der fünfte Blinde dazwischen. Er hat das Ohr des Elefanten ertastet. Schließlich beginnen sie darüber zu streiten, wer von ihnen Recht hat.
Schnell wird uns klar, dass alle fünf nur einen Teil der Wahrheit erfasst und sich aus ihrer jeweils eigenen Perspektive eine Deutung zurecht gelegt haben.
In unsere Zeit übertragen kommt der Vielzahl der unterschiedlichen Einzelperspektiven eine große Bedeutung zu. Nur durch möglichst viele verschiedene Blickwinkel von vielen unterschiedlichen Menschen aus divergierenden Lebensmilieus und durch eine freie Kommunikation über die gemachten Erfahrungen lässt sich eine der Wirklichkeit näher kommende Deutung der Situation erstellen. Voraussetzung ist aber, dass über die gesammelten Erlebnisse geredet wird und dass alle die gleichen Redeanteile und die gleiche Wertschätzung erhalten. Keines der Erlebnisse mit der daraus gewonnenen Deutung darf einer anderen Deutung untergeordnet werden. Vielmehr sollte, wie dies z. B. in Bürgerräten zu gesellschaftlichen Themen bereits ansatzweise geschieht3, aus einem umfassenden Meinungsbildungsprozess ein Konsens erstellt werden, in dem sich alle wieder- finden können und es keine durch Kampfabstimmungen erzeugte Sieger und Besiegte gibt. Doch wie wir wissen, sieht unsere Welt oft anders aus. Die Einflussmöglichkeiten sind ungleich verteilt, die Medienmacht liegt in den Händen einiger weniger, sogar die Rede von einer sogenannten Leitkultur flammt wieder auf, der sich andere Menschen unterzuordnen hätten.
Diese subtilen und machtvollen Prägungen der gesellschaftlichen Einflussnahme gilt es zu erkennen, auch dies gehört zum Bewusstwerdungs- und Erkenntnisprozess von Yoga-Praktizierenden, die sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sind.
Aber: Sind wir Menschen prinzipiell in der Lage, die ganze Wahrheit zu erkennen? Wo liegen die Grenzen unserer Erkenntnisfähigkeit? Gibt es überhaupt solche Grenzen?
Nein, sagt Patanjali, die Grenzen bestehen nur aus Trübungen der Wahrnehmung und aus daraus gezogenen falschen Schlussfolgerungen. Wir sind in der Lage, vollkommen klar zu erkennen, wenn wir unseren Geist klären, indem wir eine „gleichmütige Wunschlosigkeit gepaart mit klarer Wahrnehmung“4(YS 4.29) entwickeln.
Im Yoga nennen wir diese Qualität des Wahrnehmens „unmittelbares“ Wahrnehmen, eine Wahrnehmung, die nicht durch die Filter wie z. B. Konzepte, Kategorien oder Vorurteile geprägt ist. Diese Qualität setzt die Fähigkeit frei, etwas ungetrübt wahrnehmen zu können. Das ist der Zustand des Yoga. Dann können wir klar erkennen, „dann ruht der Sehende (drastuh) in seiner Wesensidentität“(YS 1.3)5. In diesem Yoga-Zustand, schreibt Desikachar, „scheint in uns die Fähigkeit auf, etwas vollständig und richtig zu erkennen“6. Bettina Bäumer übersetzt drasta, den „Sehenden“ als die „Energie der Schau“7, als die „Energie der Erleuchtung“, wobei der „Sehende“ nichts anderes ist als die Energie des Wahrnehmens.
Wahrnehmung ist keine Operation des Verstandes.
Wahrnehmung ist Präsenzbewusstsein8.
Der französische Psychologe und Philosoph Maurice Merleau-Ponty weist auf einen anderen wichtigen Aspekt hin, der uns an einer ungetrübten Wahrnehmung hindert. Er stellt nicht nur die Interpretation dessen in Frage, was wir wahrnehmen.
Bezogen auf das Beispiel der fünf Blinden, die den Elefanten an verschiedenen Stellen abgetastet hatten und zu völlig verschiedenen Bezeichnungen kamen, würde ihm als Ergebnis nicht genügen, dass es sich beim Ertasteten um einen Elefanten handelte.
Vielmehr stellt er die Kategorien insgesamt, mit denen wir Gegenstände bezeichnen, in Frage. Mehr noch: Er stellt das objektive Denken in Frage. Damit meint er ein Denken, das die Dinge in der Welt zum Objekt macht und zu Dingen, die „an sich“ existieren; ein Denken, das die Dinge aus ihrer konkreten leiblichen Existenz löst und zu Abstraktionen verkürzt. Dabei geht verloren, dass die Dinge leiblich durch ein Gefüge von Strukturen in die Welt eingebettet sind und einen Ursprung und einen Grund haben. Aus lebendigen, leiblichen Existenzen werden tote Gegenstände und abstrakte Inhalte. Zugleich wird die leibliche Wahrnehmung ausgeblendet und auf eine Tätigkeit des Verstandes reduziert.
Das objektive Denken baut sich eine Welt unabhängig von der ursprünglichen leiblich situierten Existenz. Die Menschen werden zum Objekt gemacht, zum Beispiel zur Arbeitskraft oder zum Konsument. Ihre leibliche Existenz als Lebewesen mit Gefühlen und Bedürfnissen wird nicht mehr erfasst. Sinnliche Erlebnisse und alle Dinge werden aus ihren Entstehungsbedingungen herausgelöst und von ihrem Ursprung und ihrem Grund, warum und wie sie bestehen, getrennt. Der Bezug zur Welt wird abgeschnitten.
Nehmen wir als Beispiel die zu Recht kritisierte Redeweise vom „Ausbruch“ des Krieges. Ein Krieg kann nicht aus dem Nichts entstehen. Damit er möglich wird, muss es in sogenannten Friedenszeiten Kriegsstrukturen geben. Diese können unbemerkt, unbewusst, verborgen bleiben oder bewusst unter der Decke gehalten werden. Sie besitzen jedoch als Strukturen eine latente Wirksamkeit, die flächendeckend die Landschaft des Lebens, den Alltag durchziehen. Die Strukturen des Krieges sind eingebettet in die Strukturen unseres Denkens und Verhaltens. Diese Strukturen reichen bis in die Sprache hinein. „Gewehr bei Fuß“ stehen, eine „Flanke“ bieten, zum „Angriff“ übergehen, sind nur einige Beispiele dafür. Zu den Kriegsstrukturen gehört auch, dass andere Formen der Verteidigung, z.B. soziale Verteidigung9, nicht in Betracht gezogen werden.
Das konstruierte Objekt „Krieg“ existiert also nicht losgelöst als Ding „an sich“, sondern ist in eine umfassende Denk- und Verhaltensstruktur eingebettet. Diese Struktur basiert auf Aktivitäten des Bewusstseins, das aus leiblichen Dingen Objekte konstruiert. Argumente wie die „aggressiven Absichten des Feindes“ oder die „gerechte Sache der eigenen Position“ sind Objektivierungen, mit deren Hilfe ein bestimmtes Bild von der Welt, von den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen gebildet und verfestigt wird. Um diesen Mechanismus zu durchbrechen, muss das objektivierende Denken selbst hinterfragt werden. Wie und wann entsteht es, wem nutzt es, und welche Alternativen zu dieser Art der Weltbeschreibung können wir entwickeln?
Notwendig ist, hinter das objektive Denken zu schauen, es gewissermaßen zu durchstoßen, damit die ihm zugrunde liegende Erfahrung freigelegt werden kann. Damit rückt die Wahrnehmung selbst in den Mittelpunkt der Untersuchung. Denn Wahrnehmung, so schreibt Merleau-Ponty, ist keine Operation des Verstandes, sondern über den Leib vermittelt. Bevor wir auch nur den kleinsten Gedanken fassen, bevor wir zu reflektieren und zu urteilen beginnen, bevor wir als Kind anfangen zu sprechen, ist unsere leibliche Existenz schon in ein Milieu und eine Atmosphäre unserer sozialen und kulturellen Mitwelt verwoben.
Das Geflecht von Beziehungen und von Zusammenhängen – nicht zufällig drängt sich Yoga-Übenden der Begriff tantra auf – prägt die Art, wie wir wahrnehmen und schreibt sich in unseren Leib, in Körper und Geist ein, meist ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Aber der Leib kann uns wieder diese andere Dimension von Weltzugang, von Verflochten-sein mit der Welt, erschließen, indem wir seine Körpersignale fühlen, wahrnehmen und darüber reflektieren. Und er kann uns eine Ebene von Erkenntnis eröffnen, die dem bloßen Verstand unzugänglich bleibt. Auf diese Weise kann die Grundstruktur eines Bewusstseins, das die Welt in losgelöste Objekte zerteilt, aufgehoben werden. Was können wir dann entdecken? Was finden wir, wenn wir unsere Aufmerksamkeit darauf richten, was vor den objektbildenden Aktivitäten des Bewusstseins liegt?
Die indigene Aktivistin und Juristin Sherri Mitchell vom Stamm Penawahpskek im Osten Nordamerikas beschreibt folgendes Erlebnis: „Es war ein warmer Frühlingstag und ich saß in meditativem Zustand im Garten. Zu jener Zeit lernte ich, der Energie nachzuspüren. Mehrere Monate lang hatte ich meine Fähigkeit vertieft, die Lebenskraft wahrzunehmen, die unsere Welt durchdringt. Als ich dasaß, bemerkte ich eine kleine Ameise, die an einem Grashalm entlang krabbelte. Während ich die Ameise auf ihrem Weg betrachtete, begann ihr kleiner Körper aufzuleuchten. Gleich darauf leuchtete auch der Grashalm, auf dem sie kletterte. Meine ganze Umgebung begann zu leuchten, während ich dasaß und zuschaute. Ich hob langsam die Augen, und das ganze Feld leuchtete, so auch die Bäume, die auf der anderen Seite des Feldes den Waldrand säumten. Jeder Vogel, der mein Sichtfeld kreuzte, war von einer zusätzlichen Schicht aus Licht umgeben. Ich saß ganz still da und staunte leise über diese neu gefundene Wahrnehmung – besorgt sie zu verlieren, solle ich mich bewegen. Während ich so meine neu erleuchtete Welt beobachtete, bemerkte ich etwas Faszinierendes. Das Lichtfeld, in dem ich saß, erhob sich und senkte sich gleichmäßig. Während ich so der Erde um mich herum beim Atmen zusah, spürte ich, wie sich mein eigener Atem einstimmte. Alles wurde schärfer; meine Sinne erwachten zum Leben. Während ich dasaß und mit der Welt um mich herum atmete, lösten sich die festen Grenzen meines Seins langsam auf. Ich fühlte, wie ich mich ausdehnte und mit all dem, was ich beobachtete, zusammenfloss. Es gab plötzlich keine Trennung mehr zwischen mir, der Ameise, der Wiese, den Bäumen, den Vögeln. Wir atmeten mit einem Atem, in uns schlug der Puls eines Herzens.“10
Für Sherri Mitchell ist die Pflege und das Einüben dieses Zustandes ein wesentlicher Teil ihres Engagements für Umweltgerechtigkeit und internationale Menschenrechte. Er ist eine Haltung, die zu einer grundlegenden individuellen und gesellschaftlichen Veränderung führen kann: zu einem neuen Selbstverständnis und einer respektvollen Verbindung mit allem Lebendigen.
Für das Erlangen dieser Haltung kann Yoga eine systematische Übungspraxis bieten. Hierin liegt die große gesellschaftspolitische Bedeutung von Yoga. Wenn wir unsere geistigen Bewegungen zur Ruhe kommen lassen und uns diesem Zustand, bevor unser Bewusstsein die Erlebnisse zu Objekten bildet, aufmerksam hingeben, dann entdecken wir das Geflecht der Welt, die Beziehungen zwischen den Lebewesen, die Beziehung zwischen den Dingen, die Ökologie der Natur und unsere Verwandtschaft mit der gesamten Schöpfung. Wir entdecken den ökologischen Menschen11, der selbst aus einem Geflecht vielzähliger Lebewesen besteht und in die Mitwelt innig verwoben ist.
Mit Hilfe veränderten Wahrnehmens gelangen wir zu einem veränderten Denken, das an die leibliche Wahrnehmung rückgebunden ist und zugleich über ein transzendentes Verständnis verfügt.
1 Ulrich Fritsch, Yoga und das Erkennen der Welt – Bewegung als Schlüssel zur Erkenntnis, in: . DYF 3/2024
2 Jaideva Singh, Spanda Karikas – vom Pulsieren der Schöpfung, 2008, S. 92-93
3 demokratie, Ausgabe 02.2023 S.36f, www.mehr-demokratie.de,
4 Sriram, Yogasutra Patanjali, Beerfelden 2003, S. 161
5 Bettina Bäumer, Patanjali – Die Wurzeln des Yoga, 1985, S. 21
6 T.K.V. Desikachar, Über Freiheit und Meditation – das Yoga Sutra des Patanjali, Petersberg 1997, S. 23
7 Patanjali, De Wurzeln des Yoga, S. 106 f
8 Ebenda S. 113
9 Nähere Informationen bei: www.soziale-verteidigung.de
10 Sherri Mitchell, Aktivismus heißt Verbindung – Indigene Weisungen zur Heilung der Welt, Hiddensee 2020,
S. 28-29
11 Ulrich Fritsch, Der Ökologische Mensch Selbstverlag, (in Vorbereitung)
-
Teil 2: Yoga und das Erkennen der Welt – Bewegung als Schlüssel zur Erkenntnis
(veröffentlicht DYF Heft 3/2024)
Bewusstsein fällt nicht vom Himmel
Bewusstsein steigt nicht herab und landet im Leib.
Eines meiner liebsten Sinnbilder hat der indische Musikwissenschaftler und Philosoph Jaideva
Singh verfasst, als er einen Kommentar von Ksemaraja zu den Spanda-Karikas-Sutras seines
Lehrers Vasugupta folgendermaßen zusammengefasst hat:
„Ein Funke des göttlichen Feuers steigt in die Materie herab und vergisst seinen göttlichen
Ursprung. Wie ein Verbannter wandert er durch ferne Länder und verschiedene Formen. Im
Menschen erreicht er die Gabe der Sprache und des Denkens. (…) Doch eine Zeit kommt, in der er
von Heimweh erfüllt ist, und nun beginnt seine Reise heimwärts. Er muss nicht sehr weit gehen. Er
braucht nur die Maske seines Pseudo-Ichs wegzuwerfen und in sein wesenhaftes Ich einzutreten,
das spanda ist, der Herzschlag von Shiva, und er wird zu dem, der er schon war. Das Universum ist
nun nicht länger ein fremdes Land. Das Ich und das Dies, das Subjekt und das Objekt werden eins. Das ist eine Erfahrung, für die es in der menschlichen Sprache keine Worte gibt.“(Singh, Jaideva: Spanda-Karikas, Vom Pulsieren der Schöpfung, 2008, S.201f) Dieses Sinnbild erinnert mich an das Versteck-Spielen von Kindern. Und genial ist der Gedanke, dass das Leben als Funke des göttlichen Feuers mit sich selbst Verstecken spielt, sich
gewissermaßen selbst die Augen zuhält, um nicht gesehen zu werden und sich dann auf den Wegmacht, um die versteckten Spielgefährten (die es wiederum selbst ist) zu suchen.In wunderbar poetischer Weise hat Singh den Erkenntnisprozess, durch den der Mensch zum Erleben der Einheit mit der Welt gelangt, beschrieben: das Assimilieren, das Durchdringen des Körpers mit allem was existiert, von allen Lebewesen auf der Erde bis zum Urquell des Lebens, der Lebenskraft. Und diese Erkenntnis fällt nicht vom Himmel in ihn herab, gewissermaßen als göttlicher Gnadenakt, sondern zu dieser Erkenntnis gelangt er durch eigenes Tun.Im Grunde muss er nicht viel machen. Er braucht sich nur von der falschen Vorstellung lösen, die er
sich von sich selbst und der Welt gemacht hat, indem er spürt, wie das Leben durch jede Zelle
seines Leibes pulsiert. Es ist dieselbe Lebenskraft, die auch alle anderen Lebewesen durchdringt.
Vasugupta nennt sie spana, Herzschlag von Shiva. Indem er als leibliche Erfahrung erkannt hat,
dass dieselbe Lebenskraft seinen Leib und alle anderen Lebewesen durchdringt, dass sein Leib
inniglich verwoben ist mit der Welt, hat er die Trennung von Subjekt und Objekt, von innen und
außen aufgelöst und als Illusion erkannt und ist auf diese Weise zur höchsten Herrschaft über seinen
Körper gelangt.
Wohl gemerkt: es ist ein Sinnbild, das Singh beschreibt. Gemeint ist, wie Ksemaraja zuvor
ausgeführt hat, dass das Individuum, dass der Mensch seine eigene wesenhafte Natur durch die
Bewusstmachung seines Leibes erkennt. Des Leibes, der sowohl aus seinem materiellen Körper als
auch aus seinen immateriellen Anteilen, seinem Geist besteht.
Was wissen wir heute über die einzelnen Schritte dieses Erkenntnisprozesses?
Wie findet dieses Erkennen statt? Handelt es sich um einen rein geistigen Vorgang?Welche Rolle spielt dabei der Körper?
Der Sportwissenschaftler Elk Franke, Prof. e.m. der Technischen Universität Darmstadt hat
untersucht, wie wir zu Wissen und Erkenntnis gelangen. Wissen und Erkenntnis, so Franke,
entstehen durch körperliche Bewegung. Denn körperliche Bewegungen ermöglichen Erfahrungen,
die ihrerseits unser Verständnis von der Welt prägen. Sie legen die Grundlagen für unser Denken
und Verhalten: „Bewegung in einem räumlichen und geistigen Sinne ist deshalb eine
Grundbedingung menschlichen Wissenserwerbs“. (Elk, Franke: Bildsamkeit des Körpers, in: Didaktische Grundlagen Bewegungspädagogik Band 11, 2015, , S. 237) Mit Wissen ist hier nicht das Wissen über etwas, über materielle Gegenstände oder
Zusammenhänge gemeint, sondern ein Wissen, aus dem wir einen optimalen Umgang mit
Phänomenen und Situationen herstellen. Die Erlebnisse im Umgang mit Phänomenen und
Situationen werden zu Erfahrung und bilden die Grundlage für den zukünftigen Umgang mit i hnen.Sie werden zu Verhaltensmustern und Gewohnheiten. Wie kann durch Bewegung Erkenntnis für einen optimalen Umgang mit Phänomenen und
Situationen gewonnen werden?
Wenn man sich körperlich bewegt, setzt man sich immer mit der Umwelt auseinander. Man erlebt
die Welt angesammelt mit Dingen, die man anfassen und fühlen kann. Die Gegenstände in der Welt
geben dem Körper durch ihre Beschaffenheit einen Widerstand, wenn man sie berührt: Sie
vermitteln einen Eindruck. Diese Eindrücke nimmt das Individuum mit seinen Sinnen wahr und
reagiert darauf. Ein Vorgang, den man bei kleinen Kindern wunderbar beobachten kann: sie
krabbeln herum, fühlen, tasten, lutschen ab, sammeln vielfältige sinnliche Erfahrungen. Sie lernen
die Beschaffenheit der Dinge kennen und finden heraus, was ihnen Freude macht und welche
Bedürfnisse sie haben. Sie stellen z.B. fest, was heiß ist und deswegen nicht berührt werden darf.
Sie bekommen Bewegungen und Verhaltensweisen erlaubt oder verboten, ernten Anerkennung oder
Missfallen. Dadurch lernen sie kennen, welches Verhalten erwartet wird und wie sie diese
Erwartungen mit ihren eigenen Wünschen und Bedürfnissen in Einklang bringen können. Sie
entwickeln ein Verständnis davon, welches Verhalten angemessen ist. Diese Erlebnisse und
Erkenntnisse speichern sie im Gedächtnis und ordnen sie in einen Zusammenhang, der für sie einen
Sinn ergibt. Auf diese Weise entwickeln und formen sie ihr gesamtes Wesen, ihren gesamten
Organismus und damit ihr Gehirn und ihren Körper. Durch die Reaktionen aus der Umgebung,
durch die Resonanz auf sein Verhalten und durch die Reaktionen seines Organismus auf die
Resonanzerfahrungen entsteht im Individuum ein Bild von sich selbst und davon, wie die Welt
beschaffen ist. Und zugleich strukturieren diese Erfahrungen seine Beziehung zwischen sich und
der Welt. Ein Prozess, der das ganze Leben lang stattfindet und der sein Leben prägt.
Für das Erkennen von sich und der Welt spielt die Menge der Bewegungen und die
Vielseitigkeit des Bewegungsrepertoires eine große Rolle. Für das Erkennen von sich und der Welt
kommt es auch auf die Intensität der Wahrnehmung beim Bewegen an und darauf, in welchem Maß
es dem Individuum gelingt, während der Bewegungen sein Fühlen und Reagieren aus der Distanz
zu beobachten und danach zu reflektieren. Alle diese Faktoren spielen eine wichtige Rolle dabei,
wie komplex und ausdifferenziert das Bild von sich und der Welt und wie die Beziehung zwischen
beiden beschaffen ist.
Körperliche Bewegung beginnt beim Atmen und beim Essen. Der Mensch verleibt sich die Welt
buchstäblich ein und scheidet sie umgewandelt wieder aus. Dieser Vorgang setzt sich auf geistiger
Ebene fort. Hinzu kommen die Bewegungen in der Welt. Als Yoga-Übende beschäftigen wir uns
zusätzlich mit denjenigen Bewegungen, die in unserem Organismus, in Körper und Geist, als
Energien wirken. Körperliche und geistige Yoga-Übungen dienen als Werkzeuge, damit diese
Energien möglichst ungehindert überall im Körper fließen und mit fortgeschrittener Übungspraxis
sogar zielgerichtet gelenkt werden können.Aber der Mensch bewegt sich nicht als unbeschriebenes Blatt. Die Welt ist dem Leib bereits seit den
ersten sinnlichen Erfahrungen des Fötus im Mutterleib eingeschrieben. Das soziale Umfeld und der
kulturelle Rahmen prägen den Organismus, seinen Körper mit seinem Gehirn. Die Prägungen
hinterlassen Spuren, begrenzen unseren Handlungsspielraum, fordern bestimmte Verhaltensweisen
durch gesellschaftliche Normen ein. Zugleich bietet das soziale Umfeld einen Rahmen, innerhalb
dessen wir uns entfalten können.
Mit seinem Handeln und seinem Verhalten wirkt der einzelne Mensch auf die Welt ein und gestaltet
sie. Dadurch wird er zu einem Teil der sozialen Welt. Zugleich verlangt die soziale Umwelt die
Einhaltung von Regeln und Normen und bietet Modelle für individuelles Handeln an, die sich dem
Individuum vom Anfang seiner Existenz an einprägen. Der Soziologe Pierre Bourdieu beschreibt
diesen Prägungsprozess als Herausbildung des Habitus. Damit benennt er Strukturen, die als subtile
und dauerhaft wirkende Systeme im Individuum eine Empfänglichkeit und innere Bereitschaft für
bestimmte Wahrnehmungs-, Denk- und Verhaltensweisen bilden. (Pierre Bourdieu, Sozialer Sinn, 2015, S. 98 f)
Diese individuelle Formung der Wahrnehmung und der Verhaltensweisen ist also kein privater
Vorgang. Er findet immer in einer sozial geprägten Welt statt, die ihrerseits als Ordnungsgrundlage,
als Habitus, die innere Bereitschaft für bestimmte Wahrnehmungs- und Bewertungsweisen und das
darauf aufgebaute Weltbild prägt. Der Körper seinerseits bewahrt als „permanente
Gedächtnisstütze“ die Struktur des Habitus, die Prägungen der sozialen Welt, auf.
Durch körperliche Bewegungen erlebt der Mensch die Welt und differenziert dabei seine
Sinneswahrnehmungen aus. Erst danach werden die Erlebnisse in Vorstellungen und abstrakte
Kategorien gefasst, die anschließend wieder auf seine Wahrnehmung und seine Bewegungsmuster
zurückwirken.
Der göttliche Funke ist in die Materie herabgestiegen und hat seinen göttlichen Ursprung
vergessen. Wie kann er seine Heimreise antreten? Wie kann er wieder zu dem werden, was er
ist?
Er muss die Welt mit seinem Leib durchdringen und sich seiner Prägungen, die seine Geschichte
sind, bewusst werden. Er muss sich seiner Verhaltensweisen bewusst werden, die durch die
Erlebnisse seines Leibes geprägt sind.Das bedeutet, die subtilen Strukturen des Habitus müssen bewusst gemacht werden.Eine Schlüsselrolle auf dem Weg heimwärts kommt den Mustern zu, in denen sich der einzelne
Mensch bewegt. Die Bewegungsmuster wurden durch die soziale Welt geprägt; in ihnen hat sich die
soziale Welt abgebildet, die das Verhalten prägt. Der Weg nach Hause beginnt damit, dass man die
eigenen Bewegungen bewusst fühlt und distanziert wahrnimmt.
Dies ermöglicht, die eigene Geschichte mit ihrer gesellschaftlichen Prägung transparent zu machen.
Bewusst erlebte Bewegungen können darüber aufklären, welche Begrenzungen das Individuum
verinnerlicht hat und welche ungenutzte andere Verhaltensweisen vorhanden sind.
Bewusst erlebte Bewegungen können “einen wesentlichen Beitrag zu der fundamentalen
Selbstbestimmung der Subjekte leisten und eine neue Perspektive auf die eigene soziale Praxis
eröffnen. Wenn Strukturen au diese Weise transparent werden, werden sie gleichzeitig verfügbar
und veränderbar, und die Subjekte können sich in ihren Ausdrucksmöglichkeiten vervielfältigen und
von vorhandenen Zwängen und Verlockungen postmoderner Körpermärkte emanzipieren“,
schreibt Prof. Dr. Jörg Bietz vom Institut für Sportwissenschaft & Motologie an der Philipps-
Universität Marburg. (Jörg Bietz, Bewegung und Bildung, in: Bietz, Laging, Roscher, Bildungstheoretischen Grundlagen der Bewegungs- und Sportpädagogik, 2005, S. 102) „Denn nur dann, wenn die Subjekte ihre eigenen Körper- und
Bewegungsgeschichten kennenlernen, wenn sie die Vielfalt der kulturellen Räume erkunden, in
denen sich ihre eigene Stimme und Identität konstituiert, ist die Voraussetzung dafür gegeben, die
Prozesse der Inkorporierung des Sozialen nicht länger bewusstlos hinzunehmen, sondern die
Grenzen der eigenen Kultur, die auch die Grenzen des eigenen Selbst sind, auszuloten, und (…)
„die komplexe Beziehung von Selbst- und Fremdbestimmung mündig mitzubestimmen“ (Meyer-
Drawe, 1996, S.57)“ , ergänzt Thomas Alkemeyer, Professor für Soziologie und Sportsoziologie an
der Universität Oldenburg.
Dieser Bewusstwerdungsprozess findet zunächst unterhalb der kognitiv-verbalen Ebene statt, bevor
er begrifflich erfasst werden kann. Die bewusstgemachten Bewegungsgeschichten müssen
anschließend durch eine distanzierte Betrachtung einer kritischen Prüfung unterzogen werden.
Diese reflektierende kritische Distanz beginnt bereits dann, wenn ein sinnliches Erleben als
sinnliches Erleben gegenwärtig wird. Dazu muss eine andere Perspektive, eine Außenperspektive,
eingenommen werden. Dieses reflexive Abstandnehmen wird in der Sportpädagogik als„ästhetische
Erfahrung“ bezeichnet. In einer ästhetischen Erfahrung werden sinnliche Wahrnehmungsprozesse
reflektiert.
Yoga-Übende kennen diese Herangehensweise. Mit hoher Achtsamkeit zu spüren, was in der Yoga-
Praxis geschieht und währenddessen die distanzierte Haltung des inneren Beobachters
einzunehmen, macht eine Körperarbeit zur Yoga-Praxis.
Diese Herangehensweise, durch die eine Übung zu einer Yoga-Übung wird, ist dieselbe, die in der
Pädagogik „ästhetische Erfahrung“ genannt wird und ermöglicht entscheidende Erkenntnisprozesse.
Während dieses Prozesses werden nicht nur die Bewusstseinsinhalte, sondern auch die gesamte
Struktur des Bewusstseins verändert. Es verändert sich das künftige Wahrnehmen und Bewegen des
Individuums und damit dessen Weltzugang insgesamt.
Durch das entsprechende Arrangement von Erlebnisräumen während des Yoga-Unterrichts, in denen
ästhetische Erfahrungen gesammelt werden können, kann es gelingen, diese
Bewusstwerdungsprozesse systematisch einzuleiten. Vielseitige Bewegungen, die z.B. alle
Bewegungsrichtungen der Wirbelsäule abdecken, also Vor-, Rück- und Seitbeugen,
Umkehrhaltungen und Drehbewegungen, können das Bewegungsrepertoire im täglichen Leben
erweitern helfen. Auf diese Weise könnten im Yoga-Unterricht neue Zugänge zur Welt gefunden
und eingeübt werden.
Viel ist bereits über die verheerenden Folgen von Bewegungsmangel auf die Gesundheit des
Menschen geschrieben worden. Wenig jedoch darüber, wie durch Mangel an Bewegung das Erleben
und Verstehen der Welt begrenzt wird und einschrumpft.
Wie kann man von einem Menschen, der überwiegend sitzend und in von der Natur abgeschotteten
Räumen den Tag verbringt, erwarten, dass er z.B. begreift, was das Aussterben von Tieren und
Pflanzen, was Artensterben bedeutet?
Könnte es sein, dass durch vielseitige Bewegung auch in der freien Natur und durch bewusstes
Wahrnehmen sowie Reflexion des Erlebten z.B. ein besseres Verständnis von der Bedeutung des
Artensterbens für unser Überleben entsteht? Könnte es sein, dass durch bewusstes Wahrnehmen
und Reflexion darüber dringend nötige Verhaltensänderungen erreicht werden? Wäre es möglich,
dass durch erweiterte leibliche Zugänge und die damit verbundenen Erkenntnisprozesse auch ein
größerer gesellschaftlicher Druck auf die politisch Verantwortlichen erzeugt werden kann, damit sie
die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen so verändern, dass der zerstörerische Umgang mit
menschlichem und nicht-menschlichem Leben gestoppt und umgekehrt werden kann?
Ulrich Fritsch -
Artikelreihe: Yoga und Gesellschaft
Teil 1: Dem Hass entgegentreten
( veröffentlicht im DYF Heft 2/2024
Veraltetes Bild von Yoga
Yoga ist in unserer Gesellschaft angekommen. 2018 gaben 5 % der Befragten in repräsentativen Studie an, sie betrieben Yoga. Mittlerweile üben 20 % der bundesdeutschen Bevölkerung Yoga! (Studie des Berufsverbandes der Yogalehrenden in Deutschland/ BDY: Yoga in Zahlen, 2023)
Damit hat unsere Arbeit als Yoga-Lehrende einen enormen Einfluss auf das Geschehen in unserer
Gesellschaft.
Als ich Anfang der 1980er Jahre begann Yoga zu üben, galt er in Westdeutschland als etwas
Exotisches. Man assoziierte mit Yoga den Kopfstand und Fakire, die auf einem Nagelbrett saßen,
sowie weiß gewandete Guru-JüngerInnen, die Räucherstäbchen schwenkend Om sangen.
Manchen Bundesdeutschen mag damals auch noch Kareen Zebroff im Gedächtnis gewesen sein, die
in den 1970er Jahren im Fernsehen „Yoga für Jeden“ (so lautete auch der Titel ihres Buches)
anleitete und dabei verschiedene asanas vorstellte. Einige Jahre später veröffentlichte sie dann das
Buch „Schön und schlank durch Yoga“.
Schön und schlank, Räucherstäbchen und Om prägten früher das Yoga-Bild. Mittlerweile wurde es
erweitert um Aspekte wie Entspannung und Selbstoptimierung. Als wesentliche Gründe, warum
heute in Deutschland Yoga geübt wird, wurden in der Studie des BDY die Steigerung des
körperlichen und geistigen Befindens und der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit
angegeben.
Das ist erfreulich und begrüßenswert – doch was hat das mit Yoga zu tun? Wird Yoga heute bei uns
nur als Edelgymnastik wahrgenommen? Wodurch unterscheidet sich Yoga von Gymnastik? Einer
meiner hochgeschätzten Lehrer erklärte, im Yoga ginge es darum, dass es mir als Übendem nach
dem Üben besser gehen sollte als vorher, dass dann duhkha verringert worden sein sollte.
Mit duhkha ist das persönliche Leiden gemeint, das man mit eigener Anstrengung zukünftig
vermeiden kann. Im Patanjali Yoga-Sutra 2.16 wird eine ermutigende Vision vorgestellt:
zukünftiges Leiden kann vermieden werden! Damit sind Ziel und Sinn der Yoga-Praxis umrissen:
wir können unsere Fähigkeiten verbessern, die uns helfen, Leid bringende Handlungen im voraus zu
erkennen und zu vermeiden. Als Schlüssel dient eine Kraft in uns, die drastuh genannt und als
„Seher“, als das wahrnehmende Prinzip, als die Fähigkeit wahrzunehmen, übersetzt wird. Damit
siedelt Patanjali die Ursache für menschliches Leid auf der Ebene der Wahrnehmung an. Ich komme
im Laufe dieser Artikelreihe noch auf das Thema Wahrnehmung zurück.
Das Yoga-Konzept Patanjalis ist menschenzentriert: Ich selbst – und nur ich selbst – kann etwas an
meiner Situation verändern, indem ich die Ursachen meines Leids in meinen vorangegangenen
Handlungen entdecke und bei meinen derzeitigen Handlungen darauf achte, nicht die Ursachen für
zukünftiges Leiden zu legen.
Doch dieses Konzept berücksichtigt nicht das Verwoben-Sein des einzelnen Menschen mit den
anderen Menschen. Es unterschlägt die Abhängigkeit des Menschen von den nicht-menschlichen
Mitlebewesen und der Natur. Ein Individuum, das für sich selbst und aus sich selbst heraus
existieren könnte, gibt es nicht. Wir sind eingebettet in unser soziales Umfeld, ohne das wir nicht
überlebensfähig sind. Wir sind verwoben mit der Natur und allen nicht-menschlichen Lebewesen,
die zwar ohne uns Menschen, wir aber nicht ohne sie existieren können!
Es gibt heute eine Form des Leidens, eine Form von duhkha, die unsere Vorfahren nicht kannten:
Leid durch die Gefahr des kollektiven Aussterbens der Menschheit aufgrund ihres zerstörerischen
Verhaltens. Ein Trost: Das Leben geht weiter. Allerdings möglicherweise ohne uns Menschen. Und
wir, unsere Generation sowie die Generation unserer Eltern, tragen dafür die Verantwortung. Unter
den heute Lebenden sind es besonders jene Wohlhabenden und jene Reiche, die mit ihrem
Ressourcen-verschleudernden Luxusleben die Ursachen für zukünftiges Leiden aller Menschen
legen. Die heute benachteiligten und unterdrückten Teile der Weltbevölkerung, Frauen, Kinder,
Farbige und Menschen, die nicht in den reichen Industrieländern leben – vor allem sie zahlen den
Preis für den verantwortungslosen Umgang mit unseren Lebensgrundlagen, meist ohne selbst
Nutznießer zu sein; besonders und zu allererst sind sie es, die die Folgen ausbaden müssen, deren
Ursachen sie nicht durch ihr Verhalten gelegt haben. Dieser Zusammenhang wird nicht in dem
Yoga-Konzept Patanjalis abgebildet. Es wird dadurch nicht falsch, ist aber unvollständig.
Es ist an uns, den Yoga für einen Leid-verringernden Umgang mit der Welt nutzbar zu machen.
Und im Yoga verfügen wir über einen Reichtum an Werkzeugen und an Konzepten, die dafür
geeignet sind.
Es gilt, das Potenzial des Yoga herauszuarbeiten, das die Ursachen im Verhalten von uns Menschen
für zukünftiges Leiden aller Lebewesen verringert und beseitigt und das die gesellschaftliche
Verwobenheit des Menschen berücksichtigt. Dazu möchte die Artikelreihe „Yoga und Gesellschaft“
einen Beitrag leisten, Diskussionen provozieren und Ansatzpunkte für ein enkeltaugliches Verhalten
aufzeigen.
Ich knüpfe an Forschungen aus unserer westlichen Kultur und Gesellschaft an und ziehe Ideen und
Erklärungsversuche von westlichen Wissenschaftlern heran, da sie zum einen eine Sprache sprechen
und auf Gedankengebäuden aufbauen, die uns vertraut sind, und die zum anderen zu Erkenntnissen
gelangt sind, die uns als Yoga-Unterrichtende aus den geistigen Wurzeln unserer spirituellen
Vorfahren aus Indien vertraut sind.
Vielleicht gelingt es uns gemeinsam, durch diese Auseinandersetzung ein erweitertes Verständnis
von Yoga und seinen Möglichkeiten in unserer Gesellschaft zu verankern.Vielleicht bietet diese
Auseinandersetzung auch neue Perspektiven für unseren Yoga-Unterricht, die dazu beitragen
können, angesichts der heutigen schwierigen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse Mut
und Zuversicht zu vermitteln.
Die politische Tiefendimension des Yoga möchte ich nun am Beispiel des Umgangs mit Hass und
Gewalt aufzeigen.Dem Hass entgegentreten
Yoga ist wie kaum ein anderes Übungskonzept geeignet, Denkweisen entgegenzutreten, die gegen
die freie Entfaltung von Menschen gerichtet sind. Denn Freiheit ist das Ziel des Yoga! Freiheit von
Leiden, Freiheit von vorgefassten Konzepten, die wir zwischen unsere Wahrnehmung und das
Wahrzunehmende schieben, Freiheit von Zuordnungen, die uns oder andere einschränken.
Eine Yoga-Praxis kann auf unterschiedlichen Ebenen dem Hass entgegentreten. Das
emanzipatorische Potenzial des Yoga kann das Selbstvertrauen und die Selbstwirksamkeit stärken
und damit solidarisches Handeln fördern. Die Verfeinerung der Aufmerksamkeit und ein geschultes
Körpererleben fördern eine differenzierende Wahrnehmung und unterlaufen vorgefasste Konzepte.
Vorgefasste Konzepte sind immer ungenau. Hass und Gewalt werden erst durch pauschalisierende
Kategorien möglich. Dann verschwindet der einzelne Mensch mit seinen Eigenheiten in einem
Nebel von Zuordnungen, die ihn entmenschlichen und zu einer Sache herabstufen.
„Gehasst wird ungenau. Präzise lässt sich nicht gut hassen. Mit der Präzision käme die Zartheit, das
genaue Hinsehen oder Hinhören, mit der Präzision käme jene Differenzierung, die die einzelne
Person mit all ihren vielfältigen, widersprüchlichen Eigenschaften und Neigungen als menschliches
Wesen erkennt“2, schreibt die Philosophin Carolin Emcke (Gegen den Hass, Frankfurt 2016, S. 12). Und weiter: „Sind die Konturen aber erst einmal abgeschliffen, sind Individuen als Individuen erst einmal unkenntlich gemacht, bleiben nur noch unscharfe Kollektive als Adressen des Hasses übrig, wird nach Belieben diffamiert und entwertet, gebrüllt und getobt: die Juden, die Frauen, die Ungläubigen, die Schwarzen, die Lesben,die Geflüchteten, die Muslime oder auch die USA, die Politiker, der Westen, die Polizisten, die Medien, die Intellektuellen. Der Hass richtet sich das Objekt des Hasses zurecht.“
Hass braucht einen Boden, in dem seine Saat aufgehen kann. Hass braucht vorgeprägte Muster, in
die er sich ausschüttet, vorgeformte Begriffe, in denen gedemütigt, Assoziationsketten und Bilder,
in denen gedacht und sortiert wird. Die Raster der Wahrnehmung müssen bereits vorgeformt sein, i
denen dann kategorisiert und abgeurteilt werden kann. Sich der eigenen Raster bewusst zu werden
ist ein wichtiges Ziel des Yoga. Sich genau zu beobachten, sich genau zu spüren, seine Mitwelt
differenziert wahrzunehmen, die eigenen Kategorien kritisch zu überprüfen, sind Ziele im Yoga und
Mittel zur Freiheit. Es sind dieselben Mittel, mit denen dem Hass begegnet werden kann: „Dem
Hass begegnen lässt sich nur durch das, was dem Hassenden abgeht: genaues Beobachten, nicht
nachlassendes Differenzieren und Selbstzweifel“, schreibt Emcke (S.18).
Doch es geht nicht nur darum, sich selbst wahrzunehmen. Im Yoga geht es darum, einen
Perspektivwechsel vorzunehmen, nicht mehr selbst im Mittelpunkt zu stehen, sondern seine
Verwobenheit in die Mitwelt zu erkennen. Dazu benötigen wir eine innere Haltung, in der wir
feinfühlig spüren und zugleich distanziert beobachten. „Die fehlende Distanz zwischen dem, was
wahrnimmt und dem, was wahrgenommen wird, führt zu Leid“, finden wir in Patanjalis Yoga-Sutra
2.17. Wenn wir in unserer Yoga-Praxis unser Körpergefühl verfeinern und zugleich einüben,
distanziert und differenziert wahrzunehmen, bevor unser Verstand beurteilt, dann bilden wir
Kernkompetenzen aus, die unabdingbar sind, um Hass und jedweder Form von Gewalt und
Zerstörung entgegenzutreten. Wenn ich mich in einen anderen Menschen einfühle, erlebe ich seine
Vielseitigkeit. Dann kann ich die Form aus vorgefasster Meinung, die ich mir über diesen Menschen
gemacht habe, zerbrechen und auflösen. Vielleicht besteht die wichtigste Erfahrung darin zu spüren,
wie ich als Individuum mit allen anderen Lebewesen in einem Netz von Beziehungen verwoben
bin. Dann wird Einfühlen möglich.
Als Yoga-Lehrende verfügen wir über einen reichhaltigen Werkzeugkoffer mit Übungen, um die
Verwobenheit erlebbar, fühlbar zu machen. Wir können das Netz der Beziehungen, mit dem wir in
unsere Mitwelt eingewoben sind, erfahren, zum Beispiel beim Atmen, zum Beispiel bei der
Nahrungsaufnahme und -ausscheidung, zum Beispiel beim Spüren unserer Körperreaktionen
während unserer Körperübungen. Mit einer systematischen und angemessenen Übungspraxis
können wir unsere Wahrnehmung verfeinern und diese Fähigkeit in jeder Alltagssituation nutzen.
Wenn ich die Wahrnehmung gegenüber dem Eingebunden-Sein in die Mitwelt einübe und
verfeinere, dann rückt der Andere, mit dem ich verbunden bin, in den Blick. Ebenso kann das
andere, nicht menschliche Lebewesen aus dem Tier- und Pflanzenreich in den Fokus meiner
Aufmerksamkeit geraten. Dann kann ich dieses Lebewesen sehen, erkennen und anerkennen. Hass
und andere Formen der Zerstörung setzen oft das Verkennen des Anderen voraus.„Die Fähigkeit des Menschen, anderen Verletzungen zuzufügen, ist gerade deshalb so groß“, heißt
es bei Elaine Scarry, „weil unsere Fähigkeit, uns ein angemessenes Bild von ihnen zu machen, sehr
klein ist.“(Emcke, S.64) Je enger und starrer meine vorgefassten Kategorien sind, durch die hindurch ich wahrnehme, desto kleiner wird mein Vorstellungsvermögen. „Wer sich nicht mehr vorstellen kann, wie einzigartig jede einzelne Muslima, jeder Migrant, wie singulär jede Transperson oder jeder
einzelne schwarze Mensch ist, wer sich nicht vorstellen kann, wie ähnlich sie in ihrer
grundsätzlichen Suche nach Glück und Würde sind, erkennt auch nicht ihre Verletzbarkeit als
menschliche Wesen, sondern sieht nur das, was schon als Bild vorgefertigt ist. Und dieses Bild,
diese Erzählung liefert ‚Gründe‘, warum eine Verletzung von Muslimen (oder Juden oder
Feministinnen oder Intellektuellen oder Roma) zu rechtfertigen sei“, kommentiert Emcke ihr Zitat
von Scarry.
Um sich etwas vorstellen zu können, muss man zuhören, wenn diejenigen, die von der
„gesellschaftlichen Norm“ abweichen, erzählen, wie es sich anfühlt, ausgegrenzt und missachtet zu
werden. Und wie oft haben auch Yoga-Übende das Unverständnis ihrer Mitmenschen erlebt,
besonders am Anfang ihrer Yoga-Praxis. Wie viele Ehen und Beziehungen sind zerbrochen, weil
einer der Partner den Entwicklungsweg des anderen Partners nicht verstanden und nicht geteilt hat!
Zuhören und Hineinversetzen – aber auch Erzählen ist nötig. Erzählen von den verschiedenen
Möglichkeiten des Glücklichwerdens und des wirklich freien Lebens, Geschichten vom gelungenen
von der Norm abweichenden Leben und Lieben! Mit solchen Erzählungen erobern wir uns die
Räume der Phantasie zurück. Und welche Vorstellung ist mächtiger als die Beispiele gelungenen
Lebens. Das dharma megha samadhih in Patanjalis Yoga-Sutra 4.29 weist auf die
glückverheißenden Möglichkeiten des Yoga hin. Öffnen wir in unserem Yoga-Unterricht den Raum
für solche Erzählungen, nutzen wir das Zusammensein zum Austausch unserer Erfahrungen, unserer
Schwierigkeiten und Erfolgserlebnisse! Erleben wir unsere gemeinsame Zugehörigkeit zum
universellen Wir als Menschen und zugleich unsere Einzigartigkeit als unverwechselbare
Individuen. In jedem asana, bei jedem Bewegungsablauf wird dies deutlich, bei jedem Umgang mit
neuen Herausforderungen, die wir in unserem Yoga-Unterricht für unsere Teilnehmenden kreieren.
Durch das Öffnen eines gemeinsamen Raumes und das Einüben der emanzipatorischen
Kompetenzen würde der Yoga-Unterricht und die Yoga-Praxis zu einem Teil des zivilen
Widerstandes gegen Hass und Gewalt.
Ulrich Fritsch
Literatur:
Emcke,Cornelia: Gegen den Hass. Frankfurt, Fischer-Verlag 2016 - „GemeinwohlYoga und Selbststeuerung – Die Grundlagen der Freiheit“
(veröffentlicht im DYF 6/2017)
- GemeinwohlYoga: Hochsensibilität – Meine Kreativität bringt die Welt wieder etwas ins Gleichgewicht
(veröffentlicht im DYF Heft 1/2017)
Ein ‚gemütliches‘ Beisammensein, die Servietten ordentlich gefaltet. Bloß kein Fleck auf die Tischdecke! Im Hintergrund schreit die Musik. Der Stress des Kellners hinter dir lässt auch Deinen Atem stocken. Du spürst seine Anspannung, als wäre es deine eigene. Überall wabern Gesprächsfetzen und Gerüche durch die Luft: Hier das aufdringliche Parfüm, dort das Lamentieren über den verpatzten Urlaub – nehmen die anderen auch die Unzufriedenheit und die Sehnsucht wahr, die in all den Worten mitschwingt? Du spürst die Hilflosigkeit und die Sehnsucht nach Liebe bei jedem Menschen in dieser Runde.Die Gespräche werden lauter, damit das Gegenüber, auch redend, einen hören kann. Stress! Ohrenbetäubendes Brausen in deinem Kopf. Deine Hände sind kalt und schwitzen. Alles stürmt auf dich ein. Du kannst keine klaren Gedanken mehr fassen. Deine Zellen schreien nach RUHE!Ein Ufo landet, und du steigst ein. mehr …
- „Grundlagen des GemeinwohlYoga“
(veröffentlicht in der Dokumentation zum ‚Jubiläumskongress 50 Jahre BDY‘ 2017)
- „Präventionsgesetz und ZPP – notwendiges Übel oder grosse Chance?“
(veröffentlicht im DYF 1/2016)
- „Gemeinwohlökonomie – ein Aufruf zur Zusammenarbeit im Yoga-Bereich“
(veröffentlicht im DYF 6/2014)
Ein Verhalten, das sich am Wohl aller Menschen und der Natur orientieren möchte, findet heute wertvolle Anregungen bei einem Modell, das ‚Gemeinwohlökonomie‘ genannt wird. Hier findet man zahlreiche konkrete Hilfestellungen, wie ein am Gemeinwohl orientiertes Handeln konkret im Alltag und im Rahmen des eigenen unternehmerischen Verhaltens aussehen kann. In meinem Artikel ‚Gemeinwohlökonomie als Beitrag gelebter Spiritualität‘ habe ich Eckpunkte dieses alternativen Wirtschaftsmodels vorgestellt und sie in Beziehung zu meinem Yoga-Unternehmen gesetzt (1). Gemeinwohlökonomie ist ein Beitrag für eine nachhaltige demokratische Gesellschaft und eine große Chance zur Bewältigung von Herausforderungen im Yoga-Bereich. mehr …
- „Meine Gemeinwohl-Bilanz 2014“
„Gemeinwohlökonomie als Beitrag gelebter Spiritualität„
(veröffentlicht im DYF 5/2014)
Immer mehr Menschen wird klar, dass die Art, wie wir leben und wirtschaften, unsere gesamte Existenz gefährdet. Sie (ver-)zweifeln an ihrer Arbeit, die ihnen zunehmend sinnlos und sogar schädlich erscheint und sie außerdem durch Stress und Überlastung an den Rand des Zusammenbruchs führt. Auf der Suche nach Veränderung entdecken sie gesellschaftliche Alternativen. mehr …
- „Vortrag: Yoga und Kreativität“
(gehalten am 24. August 2011 zur Ausstellungeröffnung – Bilder der Fülle – von Martha Fritsch aus Wetzlar)
Kreativität bedeutet, Dinge aus ihrem gewohnten Zusammenhang herauszunehmen und neu zuzuordnen, sie von einer anderen Perspektive zu betrachten neu zu bewerten, oder sie mit neuen Faktoren zu verknüpfen.
In unserem künstlerischen Schaffen bezeichnet Kreativität den Prozess, innere Vorgänge, Gefühle oder Ideen darzustellen. mehr …
- „Rede: Zeitreise Lich im Jahre 2020“
(gehalten am 5. März 2009 auf der Prävsentationsveranstaltung der Stadt Lich)
Die nachfolgende Rede wurde am 5.3.2009 auf der Präsentationsveranstaltung der Stadt Lich zum Thema ‚Leitbild für die Stadt Lich im Jahre 2020’ gehalten […] mehr …
Die Sinne stellen unsere Tore zur äußeren Welt dar. Mit ihrer Hilfe werden wir zu sozialen Wesen, die mit der Außenwelt kommunizieren können. In dem Maße, wie wir unsere Sinne kultivieren, können wir den Reichtum des Lebens erfahren. mehr …
Viele Menschen verstehen unter Yoga lediglich Übungen zur Entspannung oder körperlichen Fitness. Sogar unter Yogalehrende ist die Auffassung häufig anzutreffen, Yoga zu üben würde bedeuten, asanas einzunehmen und Atemübungen auszuführen. Zu einer Übung des Yoga wird eine Übungspraxis aber durch etwas ganz anderes. Nicht das möglichst perfekte Nachmachen einer Haltung oder eines Bewegungsablaufes führt zum Yoga, sondern die Achtsamkeit, mit der man sie ausführt und die man im Alltagsleben beizubehalten versucht. mehr …
- „Das große Samadhi“
(veröffentlicht in Deutsches Yoga-Forum 5/06)
Samâdhi ist das letzte der acht Glieder im Yoga-Übungsweg. Pataôjali beschreibt damit einerseits das Resultat einer gelungenen Meditation, wenn man den Gegenstand einer Meditation mit Herz und Verstand begriffen hat. mehr …
- „Dhyana – Die Illusion des Ich“
(veröffentlicht in Deutsches Yoga-Forum 4/06)
Mit dhyâna befinden wir uns im Zentrum der Themen im Yoga, es geht ans Eingemachte. Hier findet der eigentliche Klärungsprozess statt. Mit dhyâna bezeichnet Pataôjali den eigentlichen Prozess des Meditierens, der mit dhâraòâ begonnen hat, dhyâna umfasst und in samâdhi seinen vorläufigen Höhepunkt findet, bevor dann das Erkannte in den Alltag als verändertes Verhalten integriert werden muss. mehr …
- „Dharana – In Distanz zur Welt“
(veröffentlicht Deutsches Yoga-Forum 3/06)
Dhâranâ ist ein Übergangszustand: nicht mehr Alltagsbewusstsein und noch nicht Zustand der Meditation. Der innere Beobachter schafft Distanz, bevor die erlebende Person in einer späteren Phase mit dem Erlebten verschmilzt. mehr …
- „Pratyahara – Die Brücke nach innen“ (folgt)
(veröffentlicht in Deutsches Yoga-Forum 2/06)
- „Das soziale Atmen“
(Artikel zu Atmen und Gesellschaft, veröffentlicht in Deutsches Yoga-Forum 1/06)
Atmen ist ein sehr persönlicher Vorgang, aber auch ein gesellschaftliches, von der Situation abhängiges Geschehen. Denn Atmen ist Kommunizieren. Atmen, Fühlen, Denken und körperliches Verhalten sind direkt und untrennbar miteinander verbunden. mehr …
- „Yoga-Nidra: Der Schlaf des Yogin“
(Artikel zum Tastsinn, Deutsches Yoga-Forum 5/05)
Yoga-Nidra entstammt dem System des Satyananda Yoga. Svami Satyananda (geb. 1923), ein Schüler Svami Sivanandas Sarasvatis aus Rishikesh, entwickelte auf der Basis des Vedanta, alter yogischer Techniken und vor allem tantrischer Lehrtexte yogische Übungsformen, die für den heutigen Menschen zugänglich sind. Die charakteristischste Übungsform ist Yoga-Nidra. mehr …
- „Yoga und Körperarbeit“
(Leitartikel zu asana, Deutsches Yoga-Forum 4/05)
Der Einsatz des Körpers mit dem Ziel, auf den menschlichen Geist einzuwirken, begleitet die evolutionäre menschliche Entwicklung seit den Anfängen der Menschheitsgeschichte. mehr …
- „Die niyamas – Wegweiser durch den Entwicklungsprozess“
(Leitartikel zu niyama, Deutsches Yoga-Forum 3/05)
Nachfolgend möchte ich auf Unterschiede zwischen den yamas und niyamas eingehen und die Besonderheiten der niyamas hervorheben. mehr …
- „Zukünftiges Leid kann vermieden werden!“ (YS 2.16)“
(Leitartikel zu yama, Deutsches Yoga-Forum 2/05)
Das ist die große Hoffnung, die der Yoga für uns bereit hält: wir können frei werden von Leid, wir sind geboren, um glücklich zu sein, um ein Leben in Freiheit und Würde zu führen. mehr …
- „Beruf Yogalehrer“
(Giessener Allgemeine Zeitung 17.8.2002)
Die Freude, anderen helfen zu können mehr …
- „Yoga – Vier Schritte auf dem Weg zum Glück“
(Der Naturarzt 5/2001)
Es gibt viele Gründe, um Yoga zu üben. Körperliche Fitneß, Entspannung, Streßabbau oder Rückenschmerzen sind nur einige davon. Dabei beinhaltet Yoga mehr als nur ein paar Körperübungen oder eine Entspannungstechnik. Dahinter verbirgt sich eine jahrtausende alte Tradition, die dem einzelnen helfen kann, mit sich und seiner Umwelt ins Reine zu kommen und Schwierigkeiten zu überwinden. mehr …
- „Neue Gesundheitsberufe – eine akademische Konkurrenz für Yoga?„
(Deutsches Yoga-Forum 3/2001)
Yoga als Angebot der Prävention wird wieder durch die Krankenkassen (GKV) bezuschusst. Doch in die erste Freude darüber hat sich ein Unbehagen eingemischt, das sich zunächst an den Qualifizierungsanforderungen der GKV festgemacht hat. So verlangen viele Krankenkassen neben einer berufsspezifischen Ausbildung ein akademisches Studium (siehe DYF2/2001). Ulrich Fritsch, BDY-Vorstand für Öffentlichkeitsarbeit, informiert über die neuesten Entwicklungen. mehr …
- „Qualitätsmanagement: Krankenkassen setzen neue Maßstäbe für Präventionskurse“
(Deutsches Yoga-Forum 2/2001)
Mit der Gesundheitsreform 2000 beauftragte der Gesetzgeber die Spitzenverbände der Krankenkassen, in einem Leitfaden einheitliche Handlungsfelder und Kriterien zur Umsetzung der Prävention zu erstellen. Damit ist Prävention im Gesundheitsbereich wieder möglich (s. DYF 1/2000, DYF 1/2001), allerdings unterstark veränderten Bedingungen. Aktivitäten der Krankenkassen müssen nunmehr strengen Prinzipien der Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit genügen und „insbesondere einen Beitrag zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen erbringen“ (§ 20 Abs. 1 SGB V). Außerdem werden an die Kursleiterinnen hohe Qualifikationsanforderungen gestellt. Ulrich Fritsch, BDY-Vorstand für Öffentlichkeitsarbeit, informiert über die veränderten Anforderungen an Kursleiterinnen mehr …
- „Yoga und Musik“
(Deutsches Yoga-Forum 2/2000)
„Der Mensch möchte, wenigstens von Zeit zu Zeit, über sich hinauskommen“, schreibt der holländische Religionswissenschaftler van Baaren und zählt einige der wichtigsten und wirkungsvollsten Mittel dazu auf: bewusstseinsverändernde Pflanzen, Fasten und Selbstkasteiung, konzentriertes Starren auf einen Punkt, eintönige oder erregende Musik, Tanz. mehr …
- „Yoga-Bedeutung für die Gesellschaft“
(Deutsches Yoga-Forum 5/1999)
Was hat Yoga mit Politik zu tun? „Gar nichts!“ will die erste Antwort lauten. Doch dies ist ein Irrtum. mehr …
- „Eine Utopie: Yogalehrende in der Regierung“
(Deutsches Yoga-Forum 3/1999)
Berlin, 23.4.2005 (dpa): „Die neugewählte Bundesregierung hat in jeden Ausschuß eine Yogalehrerin berufen, die der geplanten Neuorientierung in der Friedens- und Sozialpolitik die nötige Tiefgründigkeit verschaffen soll. Damit sollen neue Konzepte gegen die weitere Eskalation im Balkankrieg umgesetzt werden. Federführend bei der Planung und Durchführung dieses neuen friedenspolitischen Ansatzes ist Marlies P., die viele Jahre lang Vorstand für Öffentlichkeit im Berufsverband der Yogalehrenden in Deutschland war. Unser Redakteur Peter N. sprach mit ihr.“ mehr …
- „Der Einsatz von Gong und Klangschalen im Yogaunterricht“
(Begleitmaterial zu meinem workshop auf dem Yoga-Kongress des BDY 1998)
Am Anfang war der Ton, der Klang, berichten viele Schöpfungsmythen. Und dieser Urklang ist in allem enthalten. Seit frühesten Zeiten nutzen Menschen den Klang in Form von Gesang, Trommeln und vielen anderen Instrumenten, um mit der Quelle der Schöpfung und des Seins in Verbindung zu treten. Dass Metallgegenstände zur Erzeugung von Klängen benutzt wurden,, lässt sich bereits um 1100 v.Chr. in China nachweisen. Dort wurden kleine Metallschalen in Form von Schädeldecken gefunden. Über Klangschalen wie wir sie heute vor allem aus Tibet kennen, ist nur sehr wenig bekannt – ich verweise hier auf Eva Rudy Jansens Nachforschungen. mehr …
- „Kann Yoga helfen die Arbeitswelt zu humanisieren?“
(Deutsches Yoga-Forum 3/1997)
Eine Gesprächsrunde mehr …